Stalins Geist
Ermittler eine Seance mit Stalin rüde unterbrochen hatte. Es war eine Sache, gegen einen simplen Jux einzuschreiten, aber eine ganz andere, sich mit Superpatrioten anzulegen, und die ganze Affäre zeigte nur, wie ahnungslos der Staatsanwalt war. Arkadi hatte den Verdacht, wenn Surin ein Licht aufgesetzt bekäme, würde er sich in die Hose machen.
Mit den Ereignissen am Schlittschuhteich ging Arkadi umsichtiger zu Werke. Er hatte Boras Taschen durchsucht und durchnässte Papiere für einen Boris Antonowitsch Bogolowo gefunden. Alter: vierunddreißig. Volkszugehörigkeit: russisch. Wohnhaft in Twer, Elektriker, vormals preisgekrönter Sportler. Ein Zeitungsausschnitt über einen Boxkampf und ein Kondom, das war offenbar die Summe seiner vergangenen Triumphe und Hoffnungen für die Zukunft. Arkadi vermerkte in seinem Bericht, dass Bora ihn verfolgt hatte und auf dem Eis eingebrochen war, aber es war nichts damit zu gewinnen, dass er ein Messer erwähnte, wenn er kein Messer als Beweisstück vorlegen konnte. Arkadi hatte es nicht finden können, Platonow und der Kameramann Pjotr hatten es nicht gesehen, und ohne das Messer würde der Bericht vielleicht den Eindruck erwecken, Arkadi habe Bora ohne guten Grund auf das Eis gelockt und beinahe ertrinken lassen. Arkadi musste sich eingestehen, dass er das Messer nicht beschreiben konnte. Er hatte in Boras Hand etwas blitzen sehen, und er hatte etwas Scharfes an seiner Kehle gespürt. »Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen«, schrieb Arkadi. Wenn er die Waffe fände, würde die Sache ganz anders aussehen.
Arkadis Blick ruhte auf dem Spind. In einem Safe mit Kombinationsschloss hinter der verschlossenen Tür lagen seine Videokamera, Notizbücher, Bargeld für Informanten, eine Tokarew-Pistole aus dem Krieg und eine Schachtel Patronen. Er bewahrte die Waffe im Büro auf, nachdem er Schenja zu Hause dabei ertappt hatte, wie er sie zerlegte. Er wusste nicht, wo Schenja gelernt hatte, eine Tokarew zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen; der Junge behauptete, er habe Arkadi dabei zugesehen, und es stimmte, dass Arkadi die Waffe sorgsam pflegte, auch wenn er sie nie benutzte. Hätte er Bora erschossen, wenn er die Pistole bei sich gehabt hätte? Bestand der Unterschied zwischen ihm und einem Killer nur darin, dass er vergaß, eine Waffe mitzunehmen?
Arkadi nahm sich die Akte vor, die er von Viktor bekommen hatte. Viktor verstand es, sich das Verwaltungspersonal gefügig zu machen, und er hatte genug Informationen zusammengetragen, um den ganzen Schreibtisch damit zu bedecken angefangen mit einer Fotokopie des internen Ausweises für Nikolai Sergejewitsch Isakow, Russe, geboren in Twer. Wieder Twer. Nach einer ministeriellen Tauglichkeitsuntersuchung war Isakow dreißig Jahre alt und männlich. Haarfarbe braun, Augen blau, Größe 200 cm, Gewicht 90 kg. Ausbildung: zwei Jahre an der Ingenieurschule Kalinin. Ein Fünf-Sterne-Student,
95
der die Schule ohne Grund abgebrochen hatte. Kein Examen. Militärdienst: Armee, Infanterie, Ausbildung zum Scharfschützen am VSS-Scharfschützengewehr. Zwei Diensteinsätze, keine Disziplinarprobleme, Aufstieg zum Rang eines Stabsfeldwebels, dann nahtloser Wechsel zur OMON, einer Spezialeinheit der Miliz, besser bekannt als die Schwarzen Barette. Die Schwarzen Barette waren Geiselbefreier, keine Verhandler. Zu ihrer Ausbildung gehörten Luftlandeoperationen, Scharfschießen und die Feinheiten des lautlosen Kampfes Mann gegen Mann. Nur einer von fünf Kandidaten wurde angenommen. Nach den Notizen des Ausbilders gehörte Isakow zu den Besten seines Kurses. In einem speziellen Vermerk wurde erwähnt, dass Isakows Vater beim NKWD gearbeitet hatte, dem Vorläufer des KGB.
Auf einem ganz anderen Weg war Marat Urman zum gleichen Ziel gekommen. Er war halb Tatar, sein Vorname stammte aus der Französischen Revolution, und das Ergebnis war ein jähzorniger, fünfunddreißigjähriger Mann. Haarfarbe schwarz, Augenfarbe schwarz, Größe 190 cm, Gewicht 102 kg. Als Jugendlicher mehrfach festgenommen wegen Körperverletzung und Erregung öffentlichen Ärgernisses. Ein Jahr an der Universität, sechs Jahre in der Armee. Mehrere Disziplinarverstöße, höchster erreichter Dienstgrad: Unteroffizier. In seinem letzten Dienstjahr war er zusammen mit Isakow in derselben Basis stationiert, und aus irgendeinem Grund waren der coole Isakow und der wilde Marat dicke Freunde geworden.
Die Kandidatenschule der Schwarzen Barette wusste Urmans aggressive
Weitere Kostenlose Bücher