Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
mal in der Kirche? Okay, zurück auf eure Plätze, und los! Ja, so. Noch langsamer, Kinder, das ist kein Wettrennen. Achtet nicht auf die Kamera. Schaut geradeaus, und konzentriert euch auf das Foto, auf das freundliche Gesicht des Mannes. Er ist ein Heiliger, und ihr bringt ihm besondere Geschenke. Zusammenbleiben, zusammenbleiben, zusammenbleiben. So ist es schon besser. Petja, wie sah das für dich aus?«
    »Sie haben sich nicht an die Markierung gehalten«, sagte der Kameramann.
    »Habt ihr gehört, Kinder? Die Kamera lügt nicht. Der blaue Klebstreifen auf dem Boden ist eure Markierung; er zeigt euch, wo ihr losgehen und wo ihr stehen bleiben müsst. Heute Abend werden viele Leute da sein. Ihr müsst sie verdecken, und das könnt ihr nur, wenn ihr es geübt habt.«
    Die Kinder gingen noch einmal quer durch das Zimmer. »Lieber Genosse Stalin«, soufflierte Selenski.
    »Lieber Genosse Stalin, die Kinder Russlands danken Ich-
    nen … »
    Und noch einmal.
    »Sie haben das russische Volk um sich geschart«, sagte der Junge, »und die faschistischen Invasoren zurückgeschlagen.«
    »Als geliebter Menschenfreund haben Sie ein Russland geführt, das von den friedliebenden Nationen der Welt bewundert und geachtet wurde«, sagte das Mädchen.
    Noch einmal und noch einmal, bis Selenski in die Hände klatschte und sagte: »Ich liebe euch, Kinder.«
    Die Probe war offensichtlich zu Ende, und Arkadi erwartete, dass der Bildschirm jetzt dunkel werden würde. Stattdessen erschien eine Schlafzimmerszene mit drei Männern und einer Frau. Die Männer waren Bora, Selenski und ein Individuum, dessen Gesicht von strähnigen langen Haaren verborgen war. Arkadi brauchte einen Augenblick, um Marfa zu erkennen, die Schüler in aus der Metro, denn die Augen quollen ihr aus den Höhlen wie bei einer Gans, die gestopft wurde. Selenski hatte sie innerhalb eines einzigen Tages verführt und benutzt. Sie hatte Arkadis Rat in den Wind geschlagen.
    Petrow sparte Kassetten; er überspielte altes Material mit neuern. Arkadi drückte auf die Schnellvorlauftaste; das Band lief schneller, und die Männer rannten um das Mädchen herum, lagen abwechselnd auf ihm und sprangen wieder herunter.
    Als er Marfa weinen sah, schaltete Arkadi wieder auf normale Geschwindigkeit. Sie saß nackt und mit abgewandtem Gesicht auf der Bettkante und heulte. Ihr Zucken betonte den Babyspeck auf ihrer Taille.
    »Sie hört sich an wie ein Dudelsack«, sagte Bora aus dem Off.
    Eine Hand kam ins Bild und zeigte auf Marfas Tätowierung. »Ein Schmetterling. Wieso hab ich den übersehen? Niedlich.«
    »Marfa«, sagte Selenski, »du warst toll.«
    »Du warst toll«, sagte Bora.
    »Einfach toll«, sagte der dritte Mann. »Du bist zum Ficken geboren.«
    »Das ist eine private Aufnahme«, sagte Selenski beruhigend. »Niemand wird das Band sehen. Ich musste herausfinden, wie gut du bist, und du bist ein Profi.«
    Marfa schluchzte weiter.
    Selenski sagte: »Vergiss nicht, du hast mir gesagt, du bist ein großes Mädchen, und ich hab dir geglaubt.«
    »Wlad dreht Pornos, sonst gar nichts«, sagte der dritte Mann. »Was hast du erwartet?«
    »Das ist nicht alles, was ich mache«, widersprach Selenski. »Wirklich nicht? Was machst du denn sonst noch?«
    »Ich hab noch andere Projekte, andere Filme. Du wirst schon sehen.«
    »Na ja. Ich hab den Eindruck, als Regisseur kennst du nur eine Regieanweisung: >Lutsch schneller.«<
    »Sascha, fick dich ins Knie.«
    »Nein. Dank deiner kleinen Freundin hab ich für heute genug gefickt.«
    »Dann verpiss dich.«
    »Ich verpisse mich mit einem neuen Mercedes.«
    »Ja, schön, aber mach lieber die deutschen Nummernschilder ab«, schrie Selenski, und man hörte, wie die Tür auf und wieder zuging. »Bourgeoises Arschloch.«
    Die Kamera blieb die ganze Zeit auf Marfa. Lauf weg, dachte Arkadi. Verschwinde, solange du kannst.
    Sie unterdrückte ihr Schluchzen. »Was für andere Filme?«
    Als Arkadi den Fernseher abschaltete, war es sieben Uhr früh. Er schloss das Dossier in seinen Safe und schleppte sich zu seinem Wagen; es war unwahrscheinlich, aber vielleicht waren Eva oder Schenja nach Hause gekommen und ignorierten seine Anrufe. Das wäre zwar unhöflich, doch manche Leute taten so etwas.
    Aber die Wohnung hätte nicht leerer sein können. Nirgends lag ein Zettel, und auf dem Anrufbeantworter waren keine neuen Nachrichten. Arkadis Schritte klangen schwerfällig und aufdringlich, und unwillkürlich musste er daran denken, wie Eva geräuschlos

Weitere Kostenlose Bücher