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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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erschießen?«, fragte Viktor und sah Arkadi an.
    »Nein.«
    »Nein«, sagte Urman, »der Ermittler will sich nicht prügeln.
    Er ist nicht der Typ, der sich prügelt. Ich wünschte, er wäre es.«
    »Verpiss dich«, sagte Viktor.
    Urman schaute auf den Toten hinunter, der Kusnezow gewesen war. »Ihr wollt Leichen sehen? Die hier sind gar nichts. Sie sehen aus wie ein Schwimmteam. In Tschetschenien haben die Rebellen tote Russen für uns am Straßenrand liegen lassen, wo wir sie finden sollten. Sie waren präpariert, und wenn du einen toten Kumpel aufheben wolltest, ging eine Bombe oder eine Granate hoch. Bergen konnte man sie nur, indem man ein langes Seil um sie knotete und sie dann wegschleifte. Was übrig blieb, wenn die Bombe detoniert war, konnte man mit einer Schaufel zusammenkratzen und in einer Kiste nach Hause schicken.« Urman schob die Schublade zurück. »Du glaubst, du kennst Eva oder Isakow? Du hast keine Ahnung.«
    Urman ging, und Arkadi blieb stocksteif stehen. Er versuchte, das Bild von Eva und Isakow aus seinem Kopf zu vertreiben, aber es kam immer wieder zurück, denn der Gedanke daran war Gift, und der Geschmack blieb.
    »Alles okay?«, fragte Viktor.
    »Ja.« Arkadi versuchte sich aufzuraffen.
    »Zum Teufel mit diesem Laden. Lass uns gehen.«
    »Warum war er hier?«
    »Um dich durcheinanderzubringen. »
    Arkadi bemühte sich, seine Gedanken zu ordnen. »Nein.
    Urman hat eine Gelegenheit genutzt. Es war nicht geplant.«
    »Vielleicht ist er dir gefolgt.«
    Arkadi ließ seine Gedanken zurückwandern. »Nein, ich hab eine Einlieferung gehört.«
    Er ging die Rampe hinauf, auf das Geräusch von fließendem Wasser zu. Aus den Hähnen über den sechs Granittischen im Autopsiesaal lief ständig Wasser. Die Hälfte der Tische war von einem blau angelaufenen Trio belegt, drei Männern, die einen tödlichen Liter Äthylalkohol miteinander geteilt hatten. Ihre Organe lagen in den offenen Bäuchen. Der Neuankömmling war eine Frau, die noch bekleidet war. Sie trug ein graues Gefängnishemd und war freudlos grau von Kopf bis Fuß. Ihr Kopf war so merkwürdig nach hinten gebogen, dass Arkadi Kusnezows Frau nur erkannte, weil es erst eine Nacht her war, dass er sie gesehen hatte. Ihre Augen quollen aus den Höhlen.
    Viktor war beeindruckt. »Scheiße!«
    Arkadi nahm einen Pathologen beiseite, der mit dem letzten der drei Alkoholtoten beschäftigt war, und fragte ihn, welche Todesursache bei der Frau vorliege.
    » Ersticken. »
    »Ich sehe keine Druckstellen an ihrem Hals.«
    »Sie hat ihre Zunge verschluckt. Das kommt selten vor. Tatsächlich wird sogar schon lange darüber debattiert, ob es überhaupt möglich ist, aber hin und wieder passiert es. Sie wurde gestern Nacht verhaftet und hat es in der Zelle getan. Wir haben ihren Mann in einem Schubfach. Sie hat ihn umgebracht, und dann hat sie sich selbst umgebracht.«
    »Wer hat sie hergebracht?«
    »Inspektor Urman ist dem Transport vom Gefängnis hierher gefolgt. Anscheinend hatte er sie gerade zu Ende vernommen, als sie es getan hat.« Der Pathologe breitete ehrfurchtsvoll die Arme aus. »Manche Frauen - man würde es nie vermuten. »
     
    Die Ungnade des Staatsanwalts und ihre Zeichen: ein roter Teppich, der nicht ganz bis zu Arkadis Tür reichte. Ein kleines Büro, so voll gestopft mit einem Schreibtisch, zwei Stühlen, Spind und Aktenschrank, dass man sich kaum um sich selbst drehen konnte. Nur zwei Telefone, ein weißes für Amtsgespräche, ein rotes für Surin. Kein elektrischer Samowar. Kein Schild an der Tür. Kein Partner. Anderen Ermittlern entging Arkadis Status als Paria nicht; er war das goldene Beispiel dafür, wie man seine Karriere nicht betreiben sollte. Aber gleichgültig - Arkadi arbeitete gern nachts, wenn alle andern gegangen waren und das Licht seiner Lampe die gesamte bekannte Welt erreichte.
    Er versuchte Eva auf ihrem Handy anzurufen. Es war abgeschaltet, aber das bedeutete nicht unbedingt, dass sie mit Isakow zusammen war. Eher, sagte er sich, kümmerte sie sich um einen Patienten in der Notaufnahme und wollte nicht gestört werden. Er rief in seiner Wohnung an, um den Anrufbeantworter abzuhören. Keine Nachricht von ihr oder Schenja. Arkadi kämpfte gegen die dunkle Verlockung des Masochismus. Um einen klaren Kopf zu bekommen, schrieb er einen Bericht über die Ereignisse in der Metrostation Tschistyje Prudi. Er bemühte sich, ihn so objektiv wie möglich abzufassen; sollte Surin sich den Kopf darüber zerbrechen, dass einer seiner

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