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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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auf bloßen Füßen dahinschwebte. Die Matratze auf dem Boden im Schlafzimmer erschien ihm provisorisch wie nie zuvor.
    Ein beißender Geruch ließ ihn ans Fenster treten. Die Arbeitskolonne unten auf der Straße war beim Teerkochen, um dasselbe Schlagloch aufzufüllen wie am Tag zuvor. Die Frauen schaufelten, und der Mann - der Chef - winkte die Autos vorbei. Eine blaue Plastikplane war als Unterstand aufgespannt worden, ein Zeichen dafür, dass die Kolonne sich dauerhaft einrichtete.
    Evas Kleider hingen im Wandschrank; das deutete darauf hin, dass sie zumindest noch einmal zurückkommen und packen würde. Ihre Kassetten lagen noch in einer Schachtel, mindestens fünfzig Tonbänder, chronologisch gestapelt neben dem Rekorder. Er schob eine in das Gerät und drückte die Abspieltaste.
    Das atemlose Keuchen sportlicher Anstrengung. »Arkascha, du musst mich einholen.«
    Seine Stimme aus einiger Entfernung. »Ich hab einen besseren Vorschlag. Du wartest.«
    »Ich nehme dich auf. Ich sammle Beweismaterial dafür, dass der leitende Ermittler nicht mal einen Schneemann fangen könnte.«
    Er erinnerte sich an einen Wintertag, an eine Piste, die sich zwischen Birken hindurchschlängelte, an hallende Stimmen in der Kälte.
    »Eva, ich schleppe Brandy, Brot, Fleisch und Käse, Gurken und Fisch, und du trägst nichts als ein verführerisches Lächeln. Vielleicht soll ich dich auch noch schleppen.«
    Lachen, und das Zischeln der Skier wurde schneller.
    Eine andere Kassette ließ das Gefühl eines Spaziergangs Arm in Arm erwachen. »Ganz unter uns: Adam war unschuldig.« Seine Stimme.
    »Im Ernst?« Ihre.
    »Er hatte keine Wahl. Vor die Entscheidung gestellt, Eva glücklich zu machen oder den Herrn und Schöpfer des Universums zu verärgern, hätte jeder Mann, der bei Sinnen ist, das Gleiche getan.«
    »Das will ich doch hoffen.«
    Nichts Profundes. Dahingeworfene Sätze des Lebens.
    Auf dem dritten Band war nichts als das mehrstimmige Dröhnen von Motorbooten und die Rufe dümpelnder Wasserskiläufer - aus irgendeinem Grund eine glückliche Erinnerung. Eva hatte einen leichten Schlaf, und Arkadi fand sie manchmal mitten in der Nacht, wie sie mit einer Zigarette und einem Wodka dasaß und sich auf ihre Bänder konzentrierte, als wären sie der Beweis für ihr neues Leben.
    Er legte die Kassetten und den Rekorder wieder dahin, wo er sie gefunden hatte, streckte sich auf der Matratze aus und schloss die Augen. Nur für zehn Minuten. Nur, um aufzutanken.
    Schneeflocken pickten ans Fenster. Wenn der Wind stärker wurde, bewegte sich das Fenster im Rahmen. Das Mahlen der Schneepflüge schien überall zu sein.
    Arkadi war auf einem zugefrorenen See. Zwischen den Bäumen ringsum und den grauen Wolken war Stille, und die Luft war angenehm frostig. Am See entlang reihten sich schwarze Punkte:
    Fischer an ihren Löchern. Die Ausrüstung zum Eisfischen war einfach: Man brauchte einen Eisbohrer, einen Angelhaken, Schnur, eine Kiste zum Sitzen und Wodka zum Trinken.
    Es gab keinen besseren Angelgefährten als Sergeant Below.
    Er trug mehrere isolierende Schichten von Kleidung übereinander, eine Pelzmütze und Filzstiefel, aber seine roten Hände waren bloß, damit er den Köder umso behutsamer tanzen lassen und jeden Zug am Haken spüren konnte. Die Temperatur konnte auf minus zehn, minus zwanzig Grad fallen - Below trug niemals Handschuhe. Seine Beute - Stinte, so groß wie Silbermünzen - lag gefroren auf dem Eis. »Sakuski!«, sagte Below. »Vorspeise!« Wenn Hände und Wangen zu frieren anfingen, vertrieb er die Kälte mit Wodka.
    Der Sergeant hatte meistens einen unerschöpflichen Vorrat an guten Geschichten über Panzer und Lastwagen, die durch das Eis brachen, und von ganzen Kompanien, die auf Eisschollen davontrieben und nie wieder gesehen wurden. Diesmal war Below so schweigsam, dass Arkadi auf eigene Faust zu einer Mutprobe in die Mitte des Sees aufbrach.
    Nur ein Angler hatte sein Loch so weit draußen gebohrt.
    Arkadi sagte sich, ein Wort der Unterhaltung mit diesem Angler würde seinen Erfolg vollenden, doch als er sich umsah, war der Himmel dunkler geworden, und alle anderen Angler, auch Below, hatten ihre Sachen eingepackt und waren gegangen. Ein Spinnennetz aus Rissen breitete sich über dem Eis aus, aber weil der Angler vor ihm so beschäftigt und zufrieden erschien, ging Arkadi weiter.
    Der Mann war von Kopf bis Fuß in zerlumpte Mäntel und Wolldecken gehüllt; sein Gesicht verlor sich im Schatten, und seine Hände

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