Stalins Geist
oder im Tennisdress, dazu ihr Vorname - Elena, Julia und so weiter -, ihre Lebensdaten, Ausbildung, Beruf, Interessen, Sprachkenntnisse und ein persönliches Statement: Julia zum Beispiel sehnte sich nach einem Mann mit einem guten Herzen, der mit beiden Beinen auf der Erde stand. Ein oder zwei Mal hielt Tatjana bei einer Seite kurz inne und murmelte: »Die ist jetzt schon seit einer ganzen Weile im Angebot. Vielleicht … »
Arkadi fiel eine Blonde im Skianzug auf; sie hieß Tanja und sah aus, als würde sie das gute Herz eines Mannes zum Abendessen verspeisen.
»Eine Tänzerin, glaube ich.«
»Nicht nur Tänzerin«, sagte Arkadi. »Harfenistin. Sie spielt im Metropol. Ich habe sie kürzlich gesehen.«
»Glauben Sie mir, sie ist nicht Ihr Typ.«
So distanziert Tanja mit der Harfe erschienen war, ihr Lächeln auf dem Bild strahlte mit voller Kraft. Ihr Skianzug war aus einem eng anliegenden, silbrigen Material, das nur eine sehr gute Skiläuferin rechtfertigen konnte. Die Spuren im Schnee hinter ihr sahen aus wie schwarze Karos.
»Außerdem ist sie vergeben«, sagte Tatjana. »Nicht mehr verfügbar. »
»Ja, und wenn ich mich für eine andere interessieren sollte, wie hoch wäre die Gebühr von Cupido?«
»Amerikaner zahlen für Qualität«, sagte sie. Für fünfhundert Dollar garantierte Cupido drei seriöse Bekanntschaften, die Beschaffung des speziellen russischen »Verlobtenvisums« für den Mann und - für den Fall, dass die Romanze zur Blüte kam - die Beantragung der gesetzlich vorgeschriebenen Papiere für den Besuch der Frau in seiner amerikanischen Heimatstadt. Für Reise- und Hotelkosten musste der Mann selbst aufkommen. »Wir sorgen dafür, dass Sie Ihre Seelengefährtin finden.«
Sie schlug ein zweites Album auf und blätterte durch Fotos offensichtlich zufriedener Paare vor der Tür eines Hauses, an einem Kamin, an einem Gartengrill, vor einem Weihnachtsbaum.
»Und wenn ich meine Seelengefährtin nach drei Versuchen nicht gefunden habe?«
»Geben wir einen Rabatt für die nächsten drei.«
»Vielleicht ließe sich der Preis noch weiter anpassen, weil
ich Russe bin.«
»Da müsste ich die Geschäftsleitung fragen.«
»Wer ist das?«
»Soja. Sie hätten ihr beinahe auf der Treppe begegnen müssen.«
»Ich bin neulich einem Mann begegnet, der sagte, er führt eine Agentur wie die hier. Er hieß Filotow.«
»Wohl kaum. Die Chefin ist Soja.«
»Jetzt, da Sie es sagen, schien er auch nicht der Typ zu sein.
Er wirkte ziemlich jähzornig.«
»Wenn er trinkt.«
»Und wann trinkt er?«
» Jeden Tag.«
»Er schien mir … » Arkadi machte eine Pause, als suchte er nach dem richtigen Wort.
»Destruktiv. Er hat einigen Mädchen geraten, sich tätowieren zu lassen. Ein erwachsener Amerikaner soll eine tätowierte Russin heiraten? Eher nicht. Filotow hat ihnen sogar erklärt, an welcher Stelle ihres Körpers sie die Tätowierung verstecken sollen, aber früher oder später wird der Amerikaner sie ja finden. Wenn er nicht blind ist.«
»Eine spezielle Tätowierung?« Mehr wagte Arkadi nicht zu fragen.
»Woher soll ich das wissen? Ich habe den Mädchen gesagt, wenn ihr tätowiert seid, sucht euch eine Motorradgang, und verschwendet nicht unsere Zeit.«
»Und was ist mit dem Amerikaner? Woher wissen Sie, dass er kein Serienmörder ist und zwei oder drei tote russische Mädchen in der Gefriertruhe hat?«
»Mein Gott!« Die Partnervermittlerin sah sich um, als könnte jemand zuhören. »Über solche Sachen machen wir keine Witze. Was für eine schreckliche Fantasie Sie haben.«
»Das ist mein Fluch.« Er dachte an Petjas Streichholzheftchen und beschloss, aufs Ganze zu gehen. »Haben Sie schon mal von einem Herrenclub namens >Tahiti< gehört?«
Tatjanas Blick überzog sich mit Eis.
»Vielleicht sollten Sie es bei einer anderen Agentur versuchen.«
Auf dem Weg zu seinem Wagen rief Arkadi in der Redaktion der Iswestija an und erfuhr, dass Ginsberg, der Reporter, der den Artikel über Isakows heldenhafte OMON-Truppe geschrieben hatte, zurzeit über den »Pizzaprozess« berichtete, den Fall des Kriegsveteranen, der einen Pizzaboten erschossen hatte. Das Verfahren finde in einem neuen, noch unvollendeten Gerichtsgebäude statt.
»Woran erkenne ich Ginsberg?«, fragte Arkadi.
»Solange er der einzige Bucklige im Saal ist, dürften Sie kein Problem haben.«
Acht
Igor Borodin saß schwitzend in einem Käfig aus kugelsicherem Glas. Seit seinen Tagen bei OMON war er fett geworden; sein
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