Stalins Geist
wir getan haben.«
»Wir haben nicht viel getan.«
»Manche haben mehr getan als andere.«
Arkadi ließ diese rätselhafte Äußerung unkommentiert. Er würde vielleicht noch vier Worte schaffen.
»Glaubst du, Eva kommt wieder nach Hause?«, fragte Viktor.
»Ja.«
»Und Schenja?«
»Ja.«
»Die Hoffnung stirbt zuletzt?«
»Sie ist erbärmlich.«
Als Arkadi die Verbindung trennte, sprang ein Eiswürfel aus dem Geschirrtuch und prallte klirrend gegen die Fensterscheibe. Der Vorarbeiter auf der Straße schaute herauf. Eine der Frauen stolperte. Kleingeld und Schlüssel rollten aus ihrer Tasche, und die Teerwalze rutschte zurück in das Loch und zog die Frauen mit sich. Aber der Vorarbeiter stand nur da und spähte zum Fenster herauf.
Arkadi hatte vorgehabt, zur Matratze zu stolpern und sich dort fallen zu lassen, doch jetzt wurde ihm bewusst, dass Eva ihren Wohnungsschlüssel nicht zurückgelassen hatte. Evas Devise im Leben war eher »Alles oder nichts«. Sie mochte ihren Koffer abgeholt haben, aber wenn sie tatsächlich für immer fortgehen wollte, hätte sie die Tür von außen verschlossen und den Schlüssel unten durchgeschoben. Unversehens lag Arkadi auf den Knien und suchte das Parkett mit der Taschenlampe ab. Möglich war auch, sagte er sich, dass Isakow den Koffer geholt und den Schlüssel behalten hatte, sodass er wieder hereinkommen konnte, wann immer er wollte. Arkadi war willens, diese Möglichkeit als gute Nachricht zu bezeichnen.
Der kleine Lichtstrahl strich über den Boden wie die Hoffnung auf dem Grund eines Brunnenschachts.
Zwölf
Inmitten der Parkplätze und Karosseriewerkstätten am Leningrad-Prospekt stand das Casino des Goldenen Khan wie eine Fantasie aus orientalischen Kuppeln und Minaretten. Draußen kauerte der russische Winter. Drinnen breitete sich gedämpfter Luxus aus; Säulen aus Malachit umgaben ein Becken mit goldenen Koi, und in den Wandgemälden leuchtete ein traumartiges Xanadu. Die vergoldete Statue eines mongolischen Bogenschützen beherrschte einen Spielsaal mit Tischen für Blackjack, Poker und amerikanisches Roulette. Nur Mitglieder und ihre Gäste kamen durch die Sicherheitskontrolle am Eingang, und die Mitgliedschaft kostete fünfzigtausend Dollar. Auf diese Weise brauchte der Club keine Solvenzprüfungen vorzunehmen.
Denn der Goldene Khan war mehr als ein Casino. Es war ein Club für Millionäre. In der informellen Intimität der Lobbys und Bars des Goldenen Khan wurden mehr Geschäfte abgeschlossen als in jedem Büro. Nichts beeindruckte einen Kunden mehr als ein Dinner im Khan. Die Spezialität des Restaurants war natürlich Steak Tatare, und die Weinkarte war die teuerste in ganz Moskau - eingedenk des Mafia-Chefs, der eine Flasche hatte zurückgehen lassen, weil sie nicht teuer genug war. In einem begehbaren Humidor lagerten Zigarren in Mahagonischubladen, die in Messing graviert den Namen des Millionärs trugen. Ein russisches banya und ein siamesisches Bad spendeten dem Millionär Erfrischung, bevor er an die Tische zurückkehrte. Ein Escort Service stellte Russinnen und Chinesinnen zur Verfügung, die dem Millionär Trost oder Glück bringen sollten. Kellnerinnen in Haremskleidern schwebten umher und servierten Drinks. Wie im legendären Xanadu hatte der Club ursprünglich eine Menagerie mit Falken, Pfauen und einem seltenen Tasmanischen Teufel beherbergt. Es erwies sich, dass der Tasmanische Teufel aussah wie eine große Ratte und ausdauernd und abscheulich mit den Pfauen um die Wette kreischte, bis er vor Erschöpfung tot umfiel. Auf die Pfauen folgten bald Papageien, die mit vielfältigen Stimmen schrien: »Schlag mich!«
Als staatsbürgerliche Geste übertrug der Goldene Khan gelegentlich einen Schönheitswettbewerb zugunsten der Opfer eines Terroranschlags, eine Dessous-Show für verwundete Soldaten oder ein Schachturnier, dessen Erlös für obdachlose Kinder verwendet wurde. Schach, das musste man zugeben, war eigentlich überholt. Niemand hatte mehr Zeit zum Schachspielen, obwohl jeder Russe es spielen konnte und alle darin übereinstimmten, dass es ein Gradmesser des Intellekts und vermutlich ein besonderes russisches Talent sei. Als das Management also mit einem schleppenden Wintervormittag rechnete - weil die Millionäre wohlig unter ihrer schwedischen Bettwäsche oder in ihren Geländewagen blieben -, gewährte es dem allgemeinen Publikum Einlass in einen Bereich des Saals, wo die Blackjacktische aus Mahagoni mit ihrem blauen Filzbezug und
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