Stalins Geist
den gepolsterten Sesseln vorübergehend durch Klapptische, Schachbretter und -uhren ersetzt worden waren. Die Papageien tanzten Sidestep auf ihren Stangen. Wachmänner in schwarzen Anzügen errichteten Absperrungen aus Messingständern mit goldenen Kordeln, zwischen denen die Spieler und ihre Anhänger hereinsickerten: listenreiche Veteranen, ein Team von Universitätsstudenten, gelassen und zuversichtlich, halbwüchsige Mädchen mit ausweichendem Blick und ein Wunderkind, das seinen erhöhten Stuhl schleppte. Jeder Einzelne war eine lokale Legende, siegreich hervorgegangen aus Kriegen, die in Studentenheimen und Stadtparks geführt worden waren. Bis zehn Uhr hatten sie sich unter einem Transparent mit der Aufschrift »Blitzschach für die Moskauer Jugend!« einzufinden. Die Veranstaltung wäre eine maßgeschneiderte Herausforderung für Schenja gewesen, doch Platonow hatte die Teilnehmerliste überprüft und nicht feststellen können, dass der Junge auf den Köder angebissen hatte. Aber vielleicht würde er sich als Zuschauer anlocken lassen.
Arkadi und Platonow blieben unsichtbar bei dem Produzenten der Show in einem Übertragungswagen, der draußen parkte, und sahen auf Monitoren zu, wie die Moderatorin ihre Markierungen abging. Sie war zierlich wie eine Turnerin und so aufgeregt, dass sie aussah wie eine Wunderkerze, die darauf wartete, dass man sie anzündete.
Der Produzent trug den kurzen Pferdeschwanz eines Teilzeitkünstlers. »Vorigen Monat«, sagte er, »hat sie bei den Wahlen zur Miss Moskau den zweiten Platz gemacht. Jetzt ist sie Moderatorin. Wir richten sie ab, indem wir eine eher unbedeutende Veranstaltung aufzeichnen. Schach? Ich bitte Sie.« In seiner Hosentasche fing Madonna an zu singen, und er zog ein Handy hervor. »Entschuldigung.«
In dem Übertragungswagen war es kalt und eng. Die Monitore spendeten mattes Licht, und überall lauerten die scharfen Kanten der Audio-, Video- und Übertragungsgeräte. Platonow hatte sich für diesen Anlass eine Fliege umgebunden. Arkadi trug unter Seemannsjacke und Rollkragenpullover einen mit Salbe bestrichenen Mullverband, und er stellte fest, wie oft man täglich den Kopf hin und her drehte. Zum Wagen zu gehen war mühsam gewesen, das Fahren eine Folter. Das Sprechen war fast unmöglich. Arkadi hatte beim Einsteigen Hallo gesagt, aber seitdem war er stumm.
Nach einem lebhaften Telefonat fing der Produzent an, hektisch die Schalter an einer Konsole zu bedienen. »Es gibt eine Änderung«, sagte er. »Das Fußballspiel ist wegen des Wetters abgesagt worden, und wir müssen einspringen. In zwei Minuten gehen wir live auf Sendung. Vielleicht haben Sie schon bemerkt, dass hier nicht mal genug Platz ist, um den Schwanz baumeln zu lassen. Also rühren Sie nichts an - und seien Sie still, außer um mir Informationen über Schach zu geben, wenn ich welche brauche. Wenn ich sie brauche, hebe ich die rechte Hand. Ansonsten benehmen Sie sich wie Ihr Freund hier, der nichts zu sagen hat. » Er setzte ein Headset auf und lehnte sich zurück, damit er die Moderatorin besser sehen konnte. »Lydia, Jura, Grischa, ich habe Neuigkeiten für euch. Wir müssen früher anfangen. Wir senden live.«
Arkadi sah auf dem Monitor, dass die Leuchtkraft der Moderatorin zunahm, als sie die Worte hörte. Die beiden Kameraleute, die bei ihr waren, legten letzte Hand an die Befestigung einer Deckenkamera über Tisch eins, bevor sie zu ihren Handkameras griffen. Im Übertragungswagen begann der Produzent drei Gespräche gleichzeitig; er choreographierte die Kameras und gab der Moderatorin ihr Stichwort. Auf sein Kommando - fünf, vier, drei, zwei, eins - erschien Lydia neben einem Roulettetisch und begrüßte die Zuschauer zu einer »besonderen Benefizveranstaltung, live aus dem exklusiven Casino des Goldenen Khan, der weltberühmten Stätte des hochkarätigen Glücksspiels«.
Ein Plastikrollo am Heckfenster des Übertragungswagens stand einen Spaltbreit offen. Arkadi spähte hinaus auf das Labyrinth der Reifenspuren im alten Schnee des Parkplatzes. Gespenstisch, die Geometrie der Realität, dachte er. Sie veränderte sich je nach dem eigenen Standpunkt.
»Schach ist kein Glücksspiel«, knurrte Platonow ihm ins Ohr. »Diese Kretins! Und dieses Turnier ist nicht einmal Schach. Wir spielten in ordentlichen Schachsälen nach ordentlichen Regeln. Das hier ist Blitzschach. Es ist nicht mal Blitzschach, es ist Fernsehen.«
Die Moderatorin auf dem Monitor fuhr fort: »Diejenigen unter Ihnen,
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