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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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hinterließ, als er sich erschoss? Er schrieb: >Ich empfehle es keinem anderen.< Also, Renko, Sie können sich freuen. Ich entschuldige mich für meinen Anfall von Feigheit, und auch wenn ich es keinem anderen empfehlen würde, werde ich Ihnen helfen. Aber nicht von Angesicht zu Angesicht. Nur per Telefon.« Ginsberg schwieg einen Moment lang, und Arkadi befürchtete, der Anrufbeantworter werde sich abschalten, doch er lief weiter. »Ich brauche keine alten Notizbücher zu suchen. Natürlich weiß ich, wer am Tag der so genannten Schlacht an der SunschaBrücke bei Isakow und Urman war. Ich habe sie alle vom Hubschrauber aus gesehen, und ich habe noch einmal auf dem Dienstplan nachgesehen, als wir wieder in der Basis waren. Ich werde die Namen mit ins Grab nehmen.« Arkadi hörte, wie Ginsberg sich wieder eine Zigarette anzündete. »Die Liste der Helden: Hauptmann Nikolai Isakow, Leutnant Marat Urman, Sergeant Igor Borodin, Unteroffizier Ilja Kusnezow, Leutnant Alexander Filotow, Unteroffizier Boris Bogolowo. Allesamt OMON-Angehörige aus Twer, und alle auf ihrem zweiten oder dritten Diensteinsatz in Tschetschenien. Sechs Schwarze Barette haben entweder einen Angriff von vierzig oder fünfzig schwer bewaffneten Terroristen zurückgeschlagen oder ein Dutzend Rebellen im Lager abgeschlachtet. Wie ich schon sagte, Sie können es sich aussuchen. Beides ist möglich. Ich habe Isakow in Aktion erlebt. Wenn die Kugeln fliegen, ist er der ruhigste Mann, den ich je gesehen habe, und seine Männer würden ihm überallhin folgen. Vor allem Urman. Sie sind ein ungewöhnliches Team. Isakows Philosophie ist: >Immobilisiere den Gegner, und er gehört dir.< Und Marat sagt: >Schneide ihm die Eier ab, brate sie, und lass ihn zusehen.< Damals waren wir Freunde. Jetzt mache ich bei jedem Schatten einen Satz.« Es war eine lange Nachricht, als wollte der Journalist eine Story durchgeben, solange er noch konnte. »Isakow sagte, ich sei sein Spiegel. Er sagte, ich sei so, wie ich bin, damit ich nicht beim Militär vergeudet werde, sondern zusehen und die Wahrheit berichten kann. Als er den Hubschrauber wegwinkte, habe ich die Kamera hingelegt, weil ich dachte: >Er will keinen Spiegel mehr. Er will sich nicht sehen.< Ich verstehe es immer noch nicht. Geht man von der schlimmsten Möglichkeit aus dass Isakows Leute auf seinen Befehl Rebellen ermordet haben, denen er erlaubt hatte, sich im Lager aufzuhalten -, dann frage ich mich, warum die Tschetschenen überhaupt da waren. Wie dem auch sei, das Schicksal hat seine eigene Art, Rechnungen zu begleichen. Insch’allah -« An dieser Stelle war das Band zu Ende.
    Kusnezow und seine Frau waren tot, und der Satz, den Ginsberg vor den Schatten gemacht hatte, war nicht groß genug gewesen. Arkadi berührte behutsam seine Kehle. Man brauchte nicht nach Tschetschenien zu gehen, um sich umbringen zu lassen. Das funktionierte auch hier in Moskau.
    Sein Handy klingelte. Er meldete sich, und Viktor fragte: »Bist du in einer Ausnüchterungszelle und lässt dir von Besoffenen und Süchtigen auf die Schuhe kotzen?«
    »Nein.«
    »Na, ich aber. Sie haben mich vor dem Gondoliere festgenommen. Polizisten verhaften Polizisten. Wie weit ist es mit uns gekommen? Ich bin derjenige, der unter dem Kater zu leiden hat; genügt das nicht? Kinder fragen mich: >Warum trinkst du?<«
    »Ich kann’s mir vorstellen.«
    »Du klingst schrecklich.«
    »Ja.«
    »Na, jedenfalls sage ich den Kindern, ich trinke, weil ich, wenn ich nüchtern bin, sehe, dass das Leben kein Wiesenpfad mit Schlüsselblumen ist, nein, das Leben ist Scheiße. Na ja, ein sehr holpriger Weg jedenfalls.«
    »Mit Schlaglöchern.« Arkadi trat näher ans Fenster. Die Frauen von der Straßenbaukolonne hatten sich vor den Griff der Teerwalze gespannt und zogen sie Stück für Stück langsam aus dem Schlagloch, während der Vorarbeiter sie antrieb. Er sah aus, als würde er nicht Nein sagen, wenn man ihm eine Peitsche leihen wollte.
    »Ich war im Gondoliere, und wer kommt da rein? Die Kollegen Isakow und Urman, und mit ihnen irgendwelche Politiker, die Gratis-T-Shirts mit der Aufschrift >Ich bin ein Russischer Patriot< verteilen. Ich hab auch eins gekriegt.«
    »Und Eva?« Trotz des Eisbeutels an seinem Hals war Arkadis Stimme ein Krächzen.
    »Sie war nicht da. Aber kannst du dir das vorstellen - Politiker in unserer Bar? Weißt du, was das bedeutet? Isakows Bild wird überall erscheinen, und unser kleiner Plan mit Soja Filotowa ist im Eimer, nach allem, was

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