S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone
Rede! Rede!
„Ich habe wegen deiner Werte im Internet recherchiert", platzte es aus dem jungen Arzt heraus. „Und dabei habe ich gesehen, dass..."
Rede! Rede! Rede!
Getman gab einen gequälten Laut von sich. Instinktiv schlug er die Hand vors Gesicht, gerade noch rechtzeitig, um den aus seiner Nase hervorschießenden Blutstrom abzufangen.
David erschrak, als er sah, wie sich der Mann vor Schmerzen wand. Sein Wunsch, mehr zu erfahren, verflog, Stattdessen erfüllt ihn Sorge.
„Alles in Ordnung?", fragte er.
Getman schüttelte den Kopf, als wollte er etwas loswerden, das sich in seinen Haaren festgekrallt hatte. Ruckartig richtete er sich auf und funkelte David an.
„Was hast du da gerade gemacht?", schrie er unbeherrscht. „Und wie du das gemacht? Wolltest du mich zum Reden zwingen?"
David verstand die Welt nicht mehr. „Was? Nein! Wie sollte das überhaupt gehen? Ich liege doch hier im Bett!"
Getmans Wut verwandelte sich in eine Maske aus Abscheu und Entsetzen. Ohne jede weitere Erklärung rannte er zum Waschbecken in der Ecke, reinigte sein Gesicht und stoppte die Blutung mit einem Stück Klopapier, das er tief in seinen Nasenflügel stopfte.
David fühlte sich hundeelend. Er war plötzlich so matt, dass er nicht einmal mehr aufrecht sitzen konnte. Müde sank er in sein Kopfkissen zurück.
„Was ist bloßlos mit mir?", fragte er den Tränen nahe.
Getman, der sich inzwischen beruhigt hatte, sah ihn mitleidig an. Vielleicht spielte er sogar mit dem Gedanken, David mehr zu erzählen. Doch in diesem Moment wurde auf dem Gang eine befehlsgewohnte Stimme laut. Sie gehörte keinem Geringeren als Juschtschenko.
„Bitte deine Leute darum, ausgeflogen zu werden", verlangte Getman noch einmal hastig, dann stand er auch schon an der Tür und schlüpfte hinaus.
David sah noch lange zu der Stelle, wo der Arzt verschwunden war. Er war verwirrt und schwach, aber doch fest entschlossen, mehr über sich und den zurückliegenden Unfall herauszufinden. Seine Hoffnung, später mehr von Doktor Getman zu erfahren, erfüllte sich indes nicht. Professor Juschtschenko schirmte seinen Patienten von nun an vor allen anderen Ärzten ab.
KRANKENZIMMER VON DAVID ROTHE
NORDWESTKRANKENHAUS, 19. Juli 2004, 15:29 Uhr
Davids Handy gehörte zu den Dingen, die während der Entladung verschwunden waren. Mit Hilfe der deutschen Botschaft hatte Major Marinin jedoch Zugriff auf die Daten des Providers erhalten. Das Ergebnis der Anfrage lag bereits vor, keine vierundzwanzig Stunden nach der Kontaktaufnahme.
„Du hast am Tag der Entladung kein einziges Gespräch geführt", eröffnete er dem Jungen. „Du hast ein paar SMS versand und erhalten, bist aber definitiv nicht angerufen worden."
„Dann muss ich mir das wohl eingebildet haben." David sprach sehr leise und schien auch wesentlich blasser und matter als am Vortag. „Ich hab ja schon erzählt, dass ich plötzlich alles wie im Fieber erlebte. Beinahe so wie gestern ..."
„Ach?"Alexander Marinin richtete sich im Stuhl auf. Sein Herz pochte plötzlich vor Erregung. „Was war denn gestern?"
Seine Hoffnung, irgendetwas Neues und Wertvolles zu erfahren, zerschlug sich jedoch sofort wieder.
„Nichts", stieß David wütend hervor. „Mir ging's nach Ihrem Besuch ziemlich mies, das ist alles. Ich hatte halt Fieber."
Die Erinnerung an den Vortag schien ihm tatsächlich zuzusetzen. Hilfesuchend sah er sich um, entdeckte die Notklingel an seinem Nachttisch und drückte den rot abgesetzten Knopf.
„Mir brummt der Schädel", jammerte er dabei. „Lassen Sie mich doch endlich in Ruhe, ich kann nicht mehr reden."
Alexander glaubte dem Jungen kein Wort. Im Laufe seiner Berufsjahre hatte er einen Instinkt dafür entwickelt, wie es klang, wenn jemand log, um sich der Befragung zu entziehen. Allerdings handelte es sich dabei meistens um Verdächtige, die bereits die Schlinge um den Hals fühlten. Gegen David wurde jedoch nicht ermittelt. Er war nur ein extrem wichtiger Zeuge.
Der Rufton hallte noch über den Flur, als Professor Juschtschenko auch schon hereingestürmt kam. Der Mediziner musste startbereit vor der Tür gelauert haben, anders war sein schnelles Erscheinen nicht zu erklären.
„Ich muss Sie eindringlich bitten, den Jungen nicht zu überfordern", wies er den Major zurecht. „Bitte lassen Sie uns allein und kommen Sie morgen wieder."
Normalerweise steckte Marinin bei einer Befragung nicht so schnell auf, doch Juschtschenkos Verhalten schien ihm äußerst vielsagend.
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