S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone
nichts.
Doch der Sergeant schien keinen Verdacht zu hegen, denn er winkte nur ab und verzog die Mundwinkel. „Gott straft dieses Land, Alexander. Der Wodka, die Sowjets und der Reaktor, das sind die Plagen, die er über uns gebracht hat. Seit '86 ist es hier doch immer schlimmer geworden, und jetzt auch noch all diese merkwürdigen Himmelsphänomene. Kein Wunder, dass die Menschen verrückt werden. Sie haben keinen Halt in Gott und müssen alles allein durchstehen."
„Scheint doch niemandem zu schaden, wenn der Himmel leuch", sagte Marinin so beiläufig wie möglich.
Ruslan schnaufte und lehnte die angebotene Zigarette mit knappem Kopfschütteln ab. „Das glaubst du vielleicht, aber ich hab allein in den letzten zwei Tagen fast ein Dutzend Leute abtransportiert. Einer saß am Rand der Zone und riss sich mit den Zähnen das Fleisch aus dem Arm. Ein anderer hatte sich die Zunge abgebissen, ein dritter seine Frau erstochen, weil er sie nicht mehr erkannte ... und so weiter. Ich sag dir, Alexander, der Teufel ist über das Land gekommen."
„Nicht der Teufel ...", begann Marinin, doch im gleichen Moment unterbrach ihn ein Schrei aus dem Gefangenenbus. Hinter den vergitterten Heckscheiben tauchte Sudakov auf. „Lasst mich raus!", schrie er. „Ich muss hier raus!"
Sein Blick war starr in die Dunkelheit gerichtet, sein Gesicht eine Grimasse. Einen Moment lang zerrte er hilflos an seiner Zwangsjacke, dann senkte er den Kopf und warf sich gegen die Hecktür. Es knallte, der Bus wackelte, aber die Tür hielt. Der Bus wurde auch bei Razzien eingesetzt und war speziell verstärkt. Sudakov verschwand kurz unterhalb des Fensters, dann kam er vor Wut schreiend wieder hoch. Blut lief über sein Gesicht.
„Scheiße!", brüllte Ruslan. „Wieso ist er nicht angeschnallt?!"
„War er doch", rief ihm Boris vom Beifahrersitz des Streifenzu. „Der muss sich losgerissen haben."
„Unmöglich."Ruslan schüttelte den Kopf und lief auf den Bus zu. Im Inneren nahm Sudakov Anlauf und rammte die Tür mit Kopf und Schultern. Sein Blut spritzte gegen die Scheibe, dann sackte er auch schon benommen zusammen.
Marinin trat die Zigarette auf den Pflastersteinen aus und blickte in die Richtung, in die Sudakov so verzweifelt hatte laufen wollen. In einiger Entfernung kreisten Hubschrauber mit Suchscheinwerfern über dem Gebiet.
Es war die Zone.
12.
MILITÄRISCHE SPERRZONE TSCHERNOBYL
07. April 2006, 12:00 Uhr
Auf ihrem Weg in die Zone hatten sich Maria, Uliana und Petr im Schatten der Bäume gehalten, dort wo noch schmutzige Flecken verharschten Schnees die Sonnenstrahlen überdauerten. Auf diese Weise hatten sie Deckung gefunden, aber auch verräterische Spuren hinterlassen. Kleine, dicht beieinander liegende Fußabdrücke. Typische Kinderschritte, die sich deutlich in den angetauten Eiskristallen abzeichneten.
Major Marinin schnürte es beinahe die Kehle zu, als er zu der Lichtung jenseits der roten Wimpel sah. Da hinten begann ein Gebiet voll unbekannter Gefahren, in dem selbst Erwachsene kaum eine Überlebenschance hatten. Irgendwo in weiter Ferne knatterte der Rotor eines Hubschraubers. Die Mi-24-Besatzungen hatten die Anweisung, nach vermissten Kindern Ausschau zu halten. Darüber hinaus gab es keine Suchaktionen. Weder Oberst Pynsenyk noch sonst ein kommandierender Offizier war bereit, das Leben von Infanteristen zu riskieren.
Major Marinin bog von dem Feldweg ab und fuhr seinen Lada zwischen eine Gruppe hoch aufragender Fichten. Tief hängende, mit Nadeln bewehrte Äste kratzten über den Autolack und stachen Marinin beim Aussteigen in Gesicht und Hände. Ihn störte es nicht. Er hob sogar noch einige abgebrochene Äste auf und drapierte sie auf dem Dach.
Perfekt.
Dank der grünen Lackierung war der Lada nun gut gegen eine Entdeckung aus der Luft geschützt.
Zu Fuß ging er weiter. Er hielt sich nun ebenso im Schatten der Bäume wie die Kinder. Pynsenyks Bodentruppen patrouillierten nur sporadisch entlang der Sperrzone, doch die Kampfhubschrauber flogen unentwegt ihre Runden, um nach Unbefugten Ausschau zu halten. Selbst der Polizei von Tschernobyl war jeder Aufenthalt innerhalb der Sperrzone strengstens verboten.
Marinin spürte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken, als er die Stangen mit den dreieckigen Wimpeln passierte. Das Militär bereitete ihm keine Sorgen, mit dem wurde er fertig. Doch von nun an bewegte er sich auf gefährlichem Boden.
Vor dem Major öffnete sich eine große, mit Gras und Heidekraut bewachsene
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