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S.T.A.L.K.E.R. 02 - Inferno

S.T.A.L.K.E.R. 02 - Inferno

Titel: S.T.A.L.K.E.R. 02 - Inferno Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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die blasse Haut, die sich über sein knochiges Gesicht spannte, wurde langsam, aber sicher durchscheinend.
    Die tief eingesunkenen Augen verstärkten den Eindruck, auf einen mit Pergament bespannten Totenkopf zu blicken. Es grenzte an ein Wunder, dass ihn die Ärzte überhaupt noch dienstfähig schrieben.
    Marinins Hände, die mit der zerschnittenen Nylonschlinge spielten, wirkten eher wie die eines Greises, denn eines Endvierzigers.
    David bemerkte erst jetzt, dass der Nylonstrang in einem runden Holzstück endete, das sich perfekt mit den Fingern umschließen ließ. Auf diese Weise konnte ein Täter die heimtückische Waffe benutzen, ohne sich selbst zu verletzten.
    Der angeschliffene Löffelstiel und die zerschmetterte Seife, in der er aufbewahrt worden war, lagen in Plastikfolie verpackt auf der polierten Tischplatte.
    „Was meinst du?", fragte Marinin mit Blick auf die Schlinge, „hat Plichko das Ding mit Hilfe der ausgehöhlten Seife hereingeschmuggelt?"
    „Nein, die gehörte mir", gestand David freimütig ein. „Darin hatte ich mein Messer versteckt. Er muss das Ding in einer Körperfalte verborgen haben. Vielleicht auch im Mund, wahrscheinlich aber zwischen den Arschbacken. "
    Marinin griff nach dem umwickelten Griff und hob das behelfsmäßige Messer in die Höhe, um es genauer zu betrachten. Plichkos Blut klebte noch an der Klinge. Ein anerkennendes Funkeln trat in Marinins Augen.
    Es war natürlich ein hartes Stück Arbeit gewesen, das Messer ungesehen anzufertigen. Vielleicht freute er sich aber auch nur darüber, dass es Davids Leben gerettet hatte.
    „Schon merkwürdig, das Plichko hier kurz vor meinem Besuch auftaucht und dich gleich angreift", sinnierte Marinin nachdenklich. „Möglicherweise kein Zufall."
    „ Der Gedanke ist mir auch schon gekommen." David rutschte unruhig auf der Polsterung umher, ohne eine halbwegs bequeme Position zu finden. Schließlich gab er den Versuch auf. „Hast du irgendwelche Neuigkeiten für mich?"
    „Und ob." Marinin gestattete sich ein stilles Lächeln. „Ich habe meine Vorgesetzten endlich davon überzeugen können, dass wir dich dringend brauchen."
    Das war so ziemlich das Letzte, was David hören wollte. Er hatte eigentlich gehofft, dass sein Fall neu aufgerollt würde oder dass der aktuelle Parlamentspräsident sich bei der deutschen Regierung einschmeicheln wollte, indem er ihm Amnestie gewährte.
    Ruckartig setzte er sich in dem Stuhl auf. „Vergiss es", stieß er hervor, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. „Das ukrainische Militär hat mir diese Haft eingebrockt, das sind die Letzten, für die ich mich hergebe!"
    Das Lächeln auf Marinins Lippen erstarb, dafür nahmen seine Augen einen sorgenvollen Ausdruck an. Er räusperte sich und setzte dazu an, etwas zu sagen, besann sich dann aber eines Besseren. Er rang sichtlich um Worte, fand aber einfach keinen Anfang. Schließlich griff er in die Brusttasche seiner Uniform und förderte ein Päckchen russischer Zigaretten zutage. Er glaubte wohl, bei ein paar tiefen Zügen besser überlegen zu können.
    David konnte nicht glauben, was er da sah. Die verdammten Glimmstängel waren Marinins sicherer Tod!
    Der Major konnte den Tadel in Davids Augen lesen. Nachdenklich ließ er das Benzinfeuerzeug sinken und nahm die unangezündete Kippe aus seinem Mundwinkel.
    „ Es gibt einen Grund dafür, dass ich mich im letzten Jahr kaum um dich kümmern konnte", erklärte er rau. „Sie habe mich operiert und danach gab es eine ziemlich eklige Chemotherapie. War alles sinnlos. Der Krebs hat erneut gestreut und ein zweites Mal mache ich den Dreck nicht mit, das garantiere ich dir. Es ist also vollkommen egal, ob ich diese Dinger paffe oder nicht."
    David wollte etwas erwidern, doch Marinin brachte ihn mit einer wütenden Geste zum schweigen. Verdammt, er hatte einfach Respekt vor diesem Kerl, mit dem er in der Zone durch Dick und Dünn gegangen war und der sich als Einziger noch um ihn scherte. Weder die Deutsche Botschaft noch die eigene Verwandtschaft - egal, ob der deutsche oder der ukrainische Zweig - ließen von sich hören. Aber Alexander Marinin lehnte sich täglich für ihn soweit aus dem Fenster, wie er nur konnte. Das spürte David mit jeder Faser seines Herzens - und auf seine Innere Stimme war stets Verlass.
    Der Major zündete die Zigarette an und nahm ein paar tiefe Züge. Seine angeschlagene Lunge dankte es ihm mit einem Hustenanfall, den er mit eiserner Disziplin schnell unterdrückte.

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