Starbuck. Der Rebell: Buch 1 (Die Starbuck-Serie)
Sudley Fords, Sir, auf einer Straße Richtung Osten.»
«Im Wald, sagst du?»
«Ja, Sir.»
Evans stocherte mit einem aufgeklappten Taschenmesser zwischen seinen Zähnen herum, die vom Kautabak schwarz und verfault waren. Skeptisch musterte er Starbuck von oben bis unten, und was er sah, schien ihm nicht zu gefallen. «Und wie viele Unionstruppen hast du gesehen, Yankee?»
«Ich weiß nicht, Sir. Viele. Und sie haben eine Kanone dabei.»
«Kanone, wie? Da krieg ich ja richtig Angst! Scheiß mir gleich die Hosen voll.» Evans kicherte, und die Männer um ihn herum lachten. Der Colonel war für seine unflätige Sprache, seinen unstillbaren Durst und seine Wildheit berüchtigt. Er hatte 1848 so gerade eben den Abschluss an der Militärakademie West Point geschafft und spottete nun über die Lehrpläne der Akademie, indem er behauptete, was einen echten Soldaten ausmache, sei die Gabe, wie eine Wildkatze kämpfen zu können, und nicht irgendwelche noblen Fertigkeiten wie Französisch zu parlieren, abseitige Trigonometrieaufgaben zu lösen oder die Kompliziertheiten der Naturphilosophie zu verstehen, was zur Hölle das auch immer sein mochte. «Du hast also diese Kanone mit deinen eigenen Augen gesehen, richtig?», fragte er nun grimmig nach.
«Ja, Sir.» In Wahrheit hatte Starbuck keine Kanonen gesehen, aber er hatte die Unionstruppen beim Abbau der Barrikade beobachtet und war zu dem Schluss gekommen, dass sie ihre Zeit nicht damit verschwenden würden, für die Infanterie eine Straße zu räumen. Eine Infanteriekolonne hätte die gefällten Bäume umgehen können, doch für Kanonen musste der Weg frei sein, und das wies ganz sicher darauf hin, dass der heimliche Flankenangriff mit Artillerie erfolgen sollte.
Nathan Evans schnitt einen neuen Streifen Kautabak ab und schob ihn sich in die Backe. «Und was zum Teufel hattest du im Wald hinter den Sudley Fords zu suchen?»
Starbuck hielt inne. Eine weitere Granate explodierte mit einer roten Stichflamme und schwarzem Rauch, und Starbuck empfand die Wucht der Explosion so heftig, dass er erneut zusammenzuckte, als der hallende Schlag die Luft vibrieren ließ. Colonel Nathan Evans dagegen wirkte vollkommen unbesorgt, abgesehen von einer erneuten Nachfrage bei seiner Ordonnanz.
« Jawohl , Colonel. Alles gut. Keine Sorge.» Der deutsche Ordonnanzoffizier war ein hünenhafter Mann mit trübseliger Miene, der ein seltsames Steingutfässchen wie einen Rucksack auf seinem breiten Rücken trug. Die äußere Erscheinung seines Befehlshabers Colonel Evans – Starbuck hatte aus den Gesprächen seiner Bewacher geschlossen, dass er den Spitznamen «Shanks» trug –, war bei Tageslicht keineswegs einnehmender als in der ersten grauen Morgendämmerung. Im Gegenteil schien er dem verbitterten Starbuck allzu sehr einem der gebückten Bostoner Kohlenträger zu ähneln, die mit zentnerschweren Säcken voll Brennstoff von der Straße in die Küchenkeller kamen, und es war kaum eine Überraschung, dachte Starbuck, dass es der anspruchsvolle Washington Faulconer abgelehnt hatte, sich dem Befehl dieses Mannes aus South Carolina zu unterstellen.
«Nun? Du hast meine Frage nicht beantwortet, Junge.» Evans funkelte Starbuck böse an. «Was hattest du auf der anderen Seite des Bull Run zu tun, hä?»
«Colonel Faulconer hat mich dorthin geschickt», sagte Starbuck herausfordernd.
«Dich dorthin geschickt? Warum?»
Starbuck wollte seine Ehre retten und behaupten, er sei geschickt worden, um die Wälder auf dem anderen Flussufer auszukundschaften, doch er spürte, dass er mit dieser Lüge nicht durchkommen würde, und deshalb entschied er sich für die schmachvolle Wahrheit. «Er wollte mich nicht mehr in seinem Regiment haben, Sir. Er hat mich zu meinen Leuten zurückgeschickt.»
Evans drehte sich um und musterte eingehend die Bäume am Ufer des Bull Run, wo seine Halbbrigade die Steinbrücke verteidigte, über die Richtung Westen die Mautstraße nach Washington verlief. Wenn die Nordstaatler an diesem Abschnitt des Bull Run angriffen, wäre Evans Verteidigung kaum zu halten, denn seine Brigade bestand nur aus einer Handvoll leichter Kavallerie, vier veralteten Glattrohrkanonen, einem unterbesetzten Infanterieregiment aus South Carolina und einem weiteren, ebenfalls unterbesetzten aus Louisiana. Beauregard hatte die Brigade mit dieser schwachen Verteidigung aufgestellt, weil er sicher war, dass die Schlacht weit drüben auf dem rechten Flügel der Konföderation stattfinden würde.
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