Starbuck. Der Rebell: Buch 1 (Die Starbuck-Serie)
etwas anderes als die Kirche Ihres Vaters, nicht wahr, Reverend?», konnte Ridley beispielsweise in einer rattenverseuchten Bruchbude fragen, und dann stimmte ihm Starbuck darin zu, dass eine solche Säuferhöhle in der Tat weit entfernt von seiner wohlgeordneten Bostoner Erziehung war, in der Sauberkeit als Zeichen für Gottes Gunst und Abstinenz als Versicherung für das ewige Seelenheil galt.
Ridley war offenkundig darauf aus, den Sohn Reverend Elial Starbucks zu schockieren und dieses Vergnügen so richtig auszukosten, doch selbst die schmierigsten Wirtshäuser hatten für Starbuck etwas Bezauberndes, schon allein deshalb, weil sie so fern der calvinistischen Freudlosigkeit seines Vaters waren. Es war keineswegs so, dass es in Boston an vergleichbar armseligen und deprimierenden Schenken, wie sie in Richmond zu finden waren, mangelte, aber Starbuck hatte nie einen Fuß in eine dieser Bostoner Lasterhöhlen gesetzt und zog daher eine seltsame Befriedigung aus Ridleys mittäglichen Ausflügen in Richmonds übelriechende Gassen. Diese Abenteuer schienen zu beweisen, dass er dem kalten, missbilligenden Blick seiner Familie tatsächlich entkommen war. Ridley jedoch brachte Starbucks sichtlicher Genuss dieser Kneipengänge nur dazu, sich bei dem Versuch, ihn zu schockieren, noch mehr anzustrengen. «Wenn ich Sie hier alleinlassen würde, Reverend», drohte Ridley in einer Spelunke, die nach der Jauche stank, welche aus einer verrosteten Leitung, keine zehn Fuß von der Speisekammer entfernt, in den Fluss tropfte, «würde man Ihnen innerhalb von fünf Minuten die Kehle durchschneiden.»
«Weil ich ein Nordstaatler bin?»
«Weil Sie Schuhe tragen.»
«Mir würde nichts passieren», behauptete Starbuck. Er hatte keine Waffe, und die etwa zwölf Männer in dem Wirtshaus sahen ganz gewiss danach aus, als könnten sie eine Menge respektabler Kehlen durchschneiden, ohne dabei den winzigsten Gewissensbiss zu empfinden, aber Starbuck wollte vor Ethan Ridley keine Angst zeigen. «Lassen Sie mich hier zurück, wenn Sie wollen.»
«Sie würden es nicht wagen, allein hierzubleiben», sagte Ridley.
«Na los. Dann werden Sie schon sehen, ob es mir etwas ausmacht.» Starbuck drehte sich zur Durchreiche um und schnippte mit den Fingern. «Noch ein Glas hierher! Nur eins!» Das war pure Angeberei, denn er trank kaum Alkohol. Er nippte zwar an seinem Whiskey, aber es war Ridley, der regelmäßig Starbucks Glas leerte. Die Furcht vor der Sünde verfolgte Starbuck, doch es war genau diese Furcht, die den Ausflügen in die Schenken ihre Würze verlieh, und Alkohol war eine der schwereren Sünden, mit deren Versuchung Starbuck halb liebäugelte, während er sich halb dagegen wehrte.
Ridley lachte über Starbucks herausfordernde Haltung. «Sie haben Mut, Starbuck, das kann man sagen.»
«Also gehen Sie.»
«Faulconer würde es mir nie verzeihen, wenn Sie umgebracht werden. Wo Sie doch sein neues Schoßhündchen sind, Reverend.»
«Schoßhündchen!» Starbuck fuhr auf.
«Das sollte keine Beleidigung sein, Reverend.» Ridley drückte eine Zigarre aus und zündete sich sofort die nächste an. Er war ein Mann von unersättlichen Begierden. «Faulconer ist ein einsamer Mann, und einsame Männer haben gern ein Schoßhündchen. Deshalb engagiert er sich so stark für die Sezession.»
«Weil er einsam ist?» Starbuck verstand nicht, was das bedeuten sollte.
Ridley schüttelte den Kopf. Er lehnte mit dem Rücken am Tresen und starrte durch ein schmuddeliges Fenster mit gesprungener Scheibe hinaus auf einen Zweimaster, der an einem morschen Holzkai festgemacht hatte. «Faulconer unterstützt den Aufstand, weil er glaubt, sich damit bei den alten Freunden seines Vaters beliebt machen zu können. Er wird sich als eifrigerer Südstaatler erweisen als jeder andere von ihnen, weil er selbst auf gewisse Art nämlich überhaupt kein Südstaatler ist, können Sie mir folgen?»
«Nein.»
Ridley schnitt ein Gesicht, als hätte er keine Lust auf weitere Erklärungen, doch dann versuchte er es noch einmal. «Er besitzt viel Land, Reverend, aber er nutzt es nicht. Er betreibt keine Viehzucht, er baut nichts an, er hat nicht einmal Weidetiere. Er besitzt es einfach nur zum Anstarren. Und Nigger hat er auch keine, jedenfalls nicht als Sklaven. Sein Geld kommt vom Eisenbahnbau und von Wertpapieren, und die Wertpapiere kommen aus New York oder London. Er ist wahrscheinlich mehr in Europa zu Hause als hier in Richmond, aber er will trotzdem
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