Starbuck. Der Rebell: Buch 1 (Die Starbuck-Serie)
nutzten den Yankees nichts, denn die Kanoniere waren entweder erschossen oder von Bajonetten niedergemacht worden, und die Gespanne waren nur noch totes Fleisch, also konnten die Kanonen nicht einmal weggeschafft werden. Weitere Kanoniere anderer Geschützbatterien wurden von Scharfschützen getötet, und langsam schoben sich die Konföderierten wieder vorwärts, und die Nordstaatler vernahmen ein seltsames Kreischen, als die Linie der Rebellen angriff. Die Schatten wurden länger, und immer mehr Männer rannten den Hügel hinauf, um sich an dem grauenvollen, verbissenen Kampf zu beteiligen.
Auch James Starbuck kam auf den Hügel. Er hatte nicht weiter nach den Trophäen gesucht, die sein siegreicher General dem Präsidenten vor die Füße legen wollte. Stattdessen war er gekommen, um festzustellen, was auf dieser verqualmten Hochebene schiefgelaufen war. «Finden Sie heraus, was da los ist, Starbuck!», hatte Irvin McDowell seinem Adjutanten befohlen. «Los jetzt!» McDowell hatte noch sechs weitere Männer mit diesem Befehl losgeschickt, aber nicht daran gedacht, selbst auf das Plateau zu reiten. Denn McDowell war von dem Lärm und der Ungewissheit überfordert und wollte einfach nur, dass einer seiner Adjutanten mit guten Nachrichten von einem Sieg zurückkam.
James trieb sein Pferd den von Granaten durchpflügten Hang hinauf und sah sich plötzlich der Hölle auf Erden gegenüber. Er ließ die Zügel locker, und sein Pferd trabte langsam und planlos auf ein New Yorker Regiment zu, das frisch auf die Hügelkuppe befohlen worden war und nun mit aufgepflanzten Bajonetten zur gegnerischen Linie vorrückte. Und es wirkte auf James, als stünde auf einmal die gesamte Südstaatenlinie in Flammen, als sähe er einen langen Flammenzaun, der sich in eine rollende Qualmwolke verwandelte, und die New Yorker blieben unvermittelt stehen, und dann kam eine weitere Salve der Südstaaten von der Flanke, und die New Yorker zogen sich zurück, ließen ihre Toten und Sterbenden auf dem Feld, und James sah die Ladestöcke auf- und niederfahren, als die Männer versuchten, das Feuer zu erwidern, doch das Regiment aus New York hatte allein angegriffen, ohne Flankendeckung, und die Männer hatten keine Chance gegen die Salven der Südstaatler, die sie auf der gesamten Linie und von der Flanke her beschossen und sie immer weiter schwächten. James wollte sie anfeuern, doch sein Mund war zu trocken, um etwas zu rufen.
Und dann wurde James’ Welt ausgelöscht. Sein Pferd sprang buchstäblich unter ihm hoch, ging dann auf die Hinterbeine und schrie, als es zusammenbrach. Eine Granate der Südstaaten war genau unter dem Bauch des Tieres explodiert, hatte es ausgeweidet, und James, fassungslos, taub und um Hilfe schreiend, rutschte unbeholfen von der blutigen Masse aus Fleisch, Hufen und Eingeweiden. Auf allen vieren kroch er weg und erbrach unwillkürlich den Inhalt seines Blähmagens. Würgend und spuckend blieb er einen Moment auf den Knien, dann kam er unsicher wieder auf die Füße. Er rutschte auf dem Blut seines Pferdes aus, kam wieder hoch und taumelte auf das Holzhaus zu, das hinter der Mitte der Unions-Kampflinie lag und eine Art Zuflucht zu bieten schien, aber als er näher kam, sah er, dass das kleine Gebäude von Kugeln und Granaten zerschossen, gespalten und angesengt worden war. Er lehnte sich an das Brunnenhaus im Hof und versuchte sich zu orientieren, doch er konnte nur an das quellende Pferdeblut denken, in das er gefallen war. Noch immer klingelten seine Ohren von der Explosion.
Ein Soldat aus Wisconsin saß neben ihm, das Gesicht eine einzige weiße Maske, und langsam wurde James bewusst, dass der halbe Kopf des Mannes von einem Granatenfragment weggerissen worden war und man das Gehirn sehen konnte. «Nein», sagte James, «nein!» In dem Haus jammerte eine Frau, während aus der Entfernung ein Geräusch herüberdrang, das sich anhörte, als würde eine ganze Armee Frauen wehklagen. James stieß sich von dem Brunnenhaus ab und wankte auf ein Infanterieregiment zu. Es waren Männer aus Massachusetts, seine eigenen Leute, und er stellte sich dicht neben ihre Flagge und sah die Toten, die hinter der Flagge abgelegt worden waren, und noch während er hinsah, brach ein weiterer Mann zusammen. Die Flaggen waren ein gutes Ziel für gegnerische Scharfschützen, eine sternenfunkelnde Einladung an den Tod, doch sobald der Flaggenträger gefallen war, nahm ein anderer Mann die Stange auf und hielt die Flagge wieder
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