Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Starbuck. Der Rebell: Buch 1 (Die Starbuck-Serie)

Starbuck. Der Rebell: Buch 1 (Die Starbuck-Serie)

Titel: Starbuck. Der Rebell: Buch 1 (Die Starbuck-Serie) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
Vom Netzwerk:
tut mir leid», sagte Starbuck etwas unpassend.
    «Es gab jemanden, der sie hätte retten können. Einen Yankee.» Truslow hatte das letzte Wort mit solchem Hass ausgesprochen, dass Starbuck ein Schauer überlief. «Ein selbstgefälliger Arzt aus dem Norden. Er hat zu Thanksgiving unten im Tal Verwandte besucht.» Er zuckte mit dem Kopf Richtung Westen, wo hinter den Bergen das Shenandoah Valley lag. «Doctor Danson hatte mir von ihm erzählt, sagte, er könne die reinsten Wunder bewirken. Also bin ich zu ihm rübergeritten und habe ihn gebeten, zu uns raufzukommen und nach meiner Emily zu sehen. Sie konnte nicht mehr transportiert werden, verstehen Sie. Auf den Knien hab ich ihn angefleht.» Truslow verfiel in Schweigen, dachte an die Demütigung und schüttelte den Kopf. «Der Mann hat sich geweigert. Hat gesagt, es gäbe nichts, was er tun könnte, aber in Wahrheit wollte er nur seinen fetten Arsch nicht bewegen und sich nicht bei Regen auf ein Pferd setzen. Am Ende haben sie mich vom Grundstück gejagt.»
    Starbuck hatte noch nie davon gehört, das sich jemand von einem Hirnschlag erholt hatte, und vermutete, dass dem Yankee-Arzt bewusst gewesen war, wie vergeblich jede seiner Anstrengungen sein würde, doch wie konnte man einen Mann wie Thomas Truslow von dieser Wahrheit überzeugen?
    «Und am ersten Weihnachtstag ist sie gestorben», sagte Truslow leise. «Hier oben lag Schnee, wie ein Leintuch. Wir waren allein, sie und ich, das Mädchen war weggelaufen, dieses verfluchte Stück.»
    «Sally?»
    «Ja, zum Teufel.» Truslow stand nun mit unbehaglich über der Brust gekreuzten Händen da, als wollte er die Haltung seiner geliebten Emily auf dem Totenbett nachahmen. «Emily und ich waren nie richtig verheiratet», beichtete er Starbuck. «Sie ist in dem Jahr, bevor ich Soldat wurde, mit mir weggelaufen. Ich war gerade sechzehn und sie keinen Tag älter, aber sie war schon verheiratet. Wir haben etwas Falsches getan, und wir wussten es beide, aber wir konnten einfach nicht anders.» Tränen standen in seinen Augen, und plötzlich war Starbuck froh darüber, dass sich dieser harte Kerl genauso dumm und närrisch benommen hatte wie er selbst mit Mademoiselle Demarest. «Ich habe sie geliebt», fuhr Truslow fort, «und das ist die Wahrheit, aber Pastor Mitchell wollte uns nicht verheiraten. Er hat gesagt, wir wären Sünder.»
    «Er hätte kein solches Urteil über Sie fällen sollen», sagte Starbuck ernst.
    «Ich glaube doch. Es war seine Aufgabe, uns zu verurteilen. Wozu ist ein Pastor sonst gut, wenn er uns nicht sagt, wie wir uns verhalten sollen? Ich beklage mich nicht darüber, aber Gott hat uns ausreichend gestraft, Mister Starbuck. Nur eines unserer Kinder ist am Leben geblieben, und das hat uns das Herz gebrochen, und jetzt ist Emily tot, und ich bin allein zurückgeblieben. Gott verspottet man nicht, Mister Starbuck.»
    Zu seiner Überraschung fühlte sich Starbuck auf einmal von Mitleid für diesen ungehobelten, halsstarrigen und schwierigen Mann überwältigt, der so ungelenk vor diesem Grab stand, das er bestimmt eigenhändig ausgehoben hatte. Oder vielleicht hatte ihm Roper geholfen oder einer der Männer, die in diesem Hochtal auf der Flucht vor den Richtern und Steuereintreibern Virginias waren. Und all das zur Weihnachtszeit: Starbuck stellte sich vor, wie sie den schlaffen Körper in den Schnee getragen und mit Hacken ein Grab in den gefrorenen Boden gebrochen hatten.
    «Wir waren nicht ordentlich verheiratet, und sie hatte keine ordentliche Beerdigung, keine mit einem Mann Gottes, der sie bei ihrem Heimgang begleitet hat, und das ist es, was du für Emily tun sollst. Du sollst die rechten Worte sprechen. Sag diese Worte für Emily, denn dann wird Gott sie bei sich aufnehmen.»
    «Das wird er ganz gewiss tun.» Starbuck fühlte sich vollkommen unzulänglich in dieser Situation.
    «Dann sprich die Worte.» In Thomas Truslows Stimme lag keine Drohung, nur eine schreckliche Verletzlichkeit.
    Stille breitete sich auf der kleinen Waldlichtung aus. Langgestreckte abendliche Schatten fielen über das Gras. O Gott, dachte Starbuck, ich bin nicht würdig, diese Aufgabe zu übernehmen, bei weitem nicht würdig. Gott wird mich nicht anhören, einen Sünder – aber sind wir nicht alle Sünder? Und gewiss hatte Gott doch Thomas Truslows Gebet gehört, denn Truslows Schmerz war aussagekräftiger als jede Litanei, die Starbucks Ausbildung zu bieten hatte. Doch Thomas Truslow brauchte den Trost des Rituals, den

Weitere Kostenlose Bücher