Stark gegen Stress
unterwerfen, heute muss man sich dem Druck der Kreativität, den Bewertungen der anderen stellen – man steht weiterhin unter Beobachtung und Zugzwang.
TIPP Mit dem Wegfall gesellschaftlicher Normen, mit dem Gewinn von Freiheiten und Möglichkeiten, aber auch mit dem gigantischen Zuwachs an verfügbarer Information tun sich in allen Lebensbereichen unzählige Türen auf. Das ist einerseits wunderbar und eröffnet dem Einzelnen beachtliche Gestaltungsfreiheiten. Anderseits wächst dadurch der Druck, sich entlang des Weges immer wieder zu entscheiden – und es sich und anderen recht machen zu müssen.
Do the right Thing. Oder einfach nicht das Falsche?
Es sind vor allem die ganz grossen Fragen des Lebens, bei denen der Druck, aus all den unzähligen verlockenden Möglichkeiten die richtige auszuwählen, Stress verursacht: Berufswahl, Partnerwahl, Kinderfrage. Aber auch die Gestaltung des Alltags wird zur Lebensaufgabe: die Wahl der Kleidung, der bevorzugten Fernsehsendungen, der Musik und Literatur, der Hobbys, der politischen Richtung. Man kann nicht mehr einfach in die Fussstapfen der Eltern treten, sondern muss den eigenen Weg finden und gehen und seine eigenen Abdrücke hinterlassen. Der Zeitgeist wandelt sich schnell; was gestern noch richtig war, ist heute vielleicht schon veraltet.
Kleine Fragen, grosse Fragen
Der Gestaltungsdruck setzt früh ein: Schon Zwölfjährige müssen sich entscheiden, wie sie mit den Versuchungen des Lebens umgehen wollen, etwa wenn Mitschüler ihre ersten Zigaretten rauchen, Drogen ausprobieren, erste sexuelle Erfahrungen machen. Schulische Entscheide sind zu treffen, das Leben soll bereits jetzt eine Richtung erhalten. Mit 14 ist der Entscheid «Beruf oder Mittelschule» fällig. Wenn Beruf, dann welchen?Und mit Berufsmatura oder ohne? Wenn Mittelschule, welche Richtung? Und anschliessend welches Studium? Auslandaufenthalte? Praktika? Und wenn ja, wie viele?
Das Thema Partnerschaft wird ebenfalls aktuell, die anderen haben bereits ihren ersten Schatz; soll man zuwarten oder sich auch einlassen, wie weit soll man bereits gehen? Wie bereit fühlt man sich dafür, und wie stark ist der Druck von aussen?
So richtig hart wird der Entscheidungsmarathon dann für die Generation der 20- bis 30-Jährigen, denn in aller Regel geht es jetzt um die Wurst, was Job, Partnerwahl und die Familienfrage anbelangt.
TIPP Mehr denn je gilt: «Jeder ist seines Glückes Schmied.» Was für die einen eine Verheissung ist, klingt für andere wie eine Drohung: «Du vor allem bist verantwortlich dafür, dass dein Leben gelingt. Wenn du nicht dafür sorgst, dass du das Beste daraus machst, bist du selber schuld.» Das verursacht eine Art Glücksdruck – und Stress.
Zum Überlegen: Wie entscheide ich?
▪ Empfinden Sie persönlich die Vielfalt an Wahlmöglichkeiten, die es heute in verschiedenen Lebensbereichen gibt, eher als Stress oder als Segen?
▪ Fällt es Ihnen generell schwer, sich zu entscheiden? Wenn ja, warum?
▪ Wenn Sie einen Entscheid zu treffen haben, gross oder klein: Wie stellen Sie sicher, dass es «der richtige» ist? Bauchgefühl? Vor- und Nachteile abwägen? Vergleichen? Auf andere hören?
▪ Gehen Sie auch für kleinere Entscheide von geringer Tragweite auf Nummer sicher, evaluieren Sie sorgfältig und treffen erst dann Ihre Wahl? Oder greifen Sie zu, sobald Ihnen ein Produkt, eine Lösung zusagt – auf die Gefahr hin, dass Sie am nächsten Tag auf eine noch bessere Variante treffen?
▪ Wenn Sie daran denken, dass Sie sich in manchen Fällen aus welchen Gründen auch immer «nur» für die zweitbeste Variante entschieden haben: Was löst das in Ihnen aus? Stress? Ein mentales Achselzucken?
▪ Was spricht dagegen, sich dem Entscheidungsdruck zu verweigern und im Sinne einer Stressverminderung stets das Nächstbeste zu wählen – sofern es nicht offensichtlich das Falsche ist?
Sich üben im Risikomanagement
Die Entscheidungsgewalt, die dem Einzelnen im Namen der Selbstverwirklichung in so vielen Fragen des Lebens überantwortet wird, könnte leicht zum Trugschluss verführen, dass sich alles, aber auch wirklich alles steuern lässt. Es ist dieser Trugschluss, der den Druck so mächtig macht. Doch bei Lichte besehen ist es wahnwitzig, anzunehmen, dass man auch nur in irgendeiner wichtigen Lebensfrage den richtigen Entscheid treffen könnte. Es ist die reinste Selbstüberschätzung. Denn das würde vollumfassende Kenntnis aller Umstände in der Zukunft, in der Gegenwart
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