Stark gegen Stress
Jobwohl – zufrieden am Arbeitsplatz. Beobachter-Buchverlag, Zürich 2010
Selbstverwirklichung, Werte und die Sinnfrage
Im Modell des Stresshauses ist es der Dachstock, der den Werten und der Sinnfrage gewidmet ist. Es lohnt sich, Ihren Raum der persönlichen Lebensphilosophie mit Umsicht auszustatten, um in Zeiten der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit ein Refugium zu haben.
Entscheide, Entscheide
Bereits gibt es Apps, die bei der Entscheidungsfindung helfen sollen – so viel Aufwand und Stress verursachen die unzähligen Optionen in allen Lebensbereichen. Doch wie schlimm ist es eigentlich, wenn wir nicht jedes Mal hundertprozentig richtig entscheiden?
Es liegt in der Natur des Themas, dass Sie in diesem Kapitel nur auf wenige konkrete Tipps stossen werden. Denn wonach Sie Ihr Leben ausrichten und welche Werte für Sie wichtig sind, das können nur Sie wissen oder herausfinden. Sie finden daher lediglich Denkanstösse und Fragen zum Überlegen.
Nehmen Sie sich aus der Fülle der Fragen und Themen diejenigen heraus, die Sie aktuell beschäftigen, die für Sie wichtig sind und Ihrem Leben eine Orientierung geben. Vielleicht kehren Sie in späteren Zeiten zu anderen Überlegungen zurück.
Freiheit und Kreativitätsdruck
Ein Leben ohne Werte, Ziel und Sinn ist stressreich und für die wenigsten Menschen lohnenswert. Doch gesellschaftliche Vorgaben, Konventionen, Normen haben stark an Bedeutung verloren und bieten kaum noch taugliche Orientierungshilfen in der Frage, was «richtig» und was «falsch» ist. Das Gleiche gilt für religiöse und moralische Werte.
Im Zuge der Individualisierung und Selbstverwirklichung ist es heute Aufgabe jedes Einzelnen, für persönliche Stabilität zu sorgen und dem Leben eine Richtung zu geben. Das ist auf den ersten Blick ein Vorteil, denn es bedeutet einen enormen Zuwachs an Freiheit in allen zentralen Bereichen des Lebens: bei der persönlichen Entfaltung, im Bereich der Erwerbstätigkeit, bei der Gestaltung der Partnerschaft und in der Erziehung der Kinder. Überall hier sind Handlungsspielräume entstanden, durch das Zeitalter der Aufklärung angestossen und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die 68er-Bewegung vollends umgesetzt.
Nicht Vorschriften, religiöse oder weltliche Autoritäten geben mehr vor, wie man sich zu verhalten hat, sondern jeder hat unbegrenzte eigene Möglichkeiten, sofern er sich nur seines Verstandes und Herzens bedient. Gesetzliche Schranken regeln lediglich Exzesse dieser Freiheit, definieren Grenzbereiche in den Extremen – als Normen für den ganz gewöhnlichen Alltag sind sie unbedeutend.
Überforderung durch die Fülle
Freiheiten sind schön, doch die Medaille hat eine Kehrseite. Denn das alles bedeutet auch, dass jeder Mensch völlig auf sich gestellt ist, dass es an jedem Einzelnen ist, die volle Verantwortung für seine Entscheide zu übernehmen und einen Lebensentwurf zu haben, der zu ihm passt. Jeder muss selber etwas aus seinem Leben machen, sonst hat er versagt, die Optionen nicht genutzt, das Leben verpasst oder einfach ein trauriges Schattendasein geführt. Dies erzeugt einen gewissen Druck, einen Grundstress: Man darf sich zum einen verwirklichen (sehr schön), doch häufig muss man sich auch verwirklichen (weniger schön), wenn man nicht als langweiliger, spiessiger, uninspirierter Mensch gelten will. Man muss kreativ sein und das auch nach aussen zeigen; sich selber darstellen, den anderen seine individuellen Errungenschaften vorführen, das gehört dazu.
TIPP Der Dachstock in Ihrem Stresshaus ist der Ort der Einkehr, der Raum, in dem Sie sich den ganz grossen Fragen widmen sollen und dürfen: der grundsätzlichen Richtung Ihres Lebens, Ihren Zielen, vielleicht auch dem Sinn Ihres Lebens und Tuns. Hier lassen Sie das kleinteilige Chaos des Alltags hinter sich und öffnen den Blick fürs Ganze, für Ihren Lebensentwurf. Aber lassen Sie sich dadurch nicht stressen. Auch ein unspektakuläres Leben kann ein erfolgreiches und schönes Leben sein. Wichtig ist nur, dass Sie es selber so gewählt haben.
Es sind nicht nur die traditionellen Werte und Konventionen, die nicht mehr unbesehen gelten; es ist auch die Fülle an Informationen, an Wahlmöglichkeiten, die das Leben zu einem ständigen Orientierungslauf machen. Wo die Abkürzung nehmen, wo sich für den leichten und einfachen Pfad entscheiden? Wo eine Route ausprobieren, die auf der Karte garnicht verzeichnet ist? Bei welchem Lauf gar nicht erst mitmachen?
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