Starke Frau, was nun?
wieder auf den Weg.
Der nächste Stopp gilt ihrem Stammrestaurant, in dem ausschließlich vegetarische Gerichte serviert werden. Es ist urgemütlich und die Kundschaft besteht meistenteils aus Leuten ihres Viertels.
Lisa bestellt sich Nudeln mit jeder Menge Spinat. Neben dem Pudding ist das ihr zweites Leibgericht. Das Essen kommt beinahe sofort, und während sie mit Genuss isst, unterhält sie sich mit Stefan, einem Typ aus ihrer Straße, der sich, seitdem er sein Studium abgeschlossen hat, als freischaffender Künstler versucht. Er trägt einen roten Zickenbart, Nickelbrille, hat eine Glatze, pro Ohr ungefähr zwanzig silberne Ringe und ist auch schwul.
Und echt sympathisch.
Sie lachen laut und begeistert; Lisa erfährt, dass er es tatsächlich zu einer Vernissage geschafft hat und verspricht, zu kommen. Dann schwingt sie sich erneut auf ihre Dolly und fährt fünf Straßen weiter. Zum offiziellen Prenzlauer Berger Parteistützpunkt der Suffragetten: Peggys Wohnung.
Die empfängt sie wie immer in einem ihrer weiten Gewänder. Den Stil hat sie von Alice Schwarzer in den Siebzigern abgekupfert; es sei Ausdruck ihrer Persönlichkeit, erzählt sie jedem. »Niemand hat das Recht, mir auf die Titten zu glotzen!« Das erzählt sie auch jedem und hat diesbezüglich vorsichtshalber alle Risiken erfolgreich beseitigt: Von ihrer ziemlich ausladenden Figur ist wegen der Klamotten wirklich nichts zu erkennen.
Die anderen sind bereits eingetroffen:
Gertrud, die vierzigjährige Buchladenbesitzerin,
Rita, derzeit arbeitslose Theologin (28),
Katrin, Literaturstudentin (25),
Klara (40), freischaffende Autorin, die noch nie etwas veröffentlicht hat. Aber die wenigen, die sie lesen durften, befanden ihre Werke durchweg als grandios und können diese verdammten, von sexistischen Männern geführten Verlage wegen deren andauernder Ignoranz ob Klaras Genie nicht verstehen.
Nachdem Lisa ihr Zeug an der Garderobe deponiert hat, lässt sie sich in einen der Korbsessel fallen und sieht sich grinsend um. Jedes Mal, wenn sie hier ist, erfasst sie das gleiche tiefe, wohlige Summen im Magen. Hier wird Geschichte geschrieben, denn irgendwann, wenn auch nicht morgen oder übermorgen, werden sie im Bundestag die Regierung übernehmen. Und dann ist es vorbei mit allen Machos dieser Welt. Ein wahnsinnig motivierender Gedanke, der selbst über die letzte Wahlschlappe (sie hatten 0,1 Prozent erreicht; alle vermuten massiven Wahlbetrug) hinwegtröstet.
Peggy bringt eine riesige Kanne Tee. Jeder trinkt Kamille, auch das mag Lisa außerordentlich. Endlich mal keine dämlichen Blicke, wenn sie ihr Lieblingsgetränk zu sich nimmt.
Katrin, die Schriftführerin, eröffnet die Sitzung. »Derzeitige Projekte?«, fragt sie in die Runde.
Klara meldet sich. »Am Samstag findet eine Mahnwache vor dem Roten Rathaus statt. Thema: anhaltende Unterwanderung der Frauenquote. Ich habe die Plakate schon angefertigt. Diese verdammten Kerle! Habt ihr euch die Statistiken mal genauer angeguckt? Das ist empörend!«
Alles nickt düster.
»Nächste Woche Montag findet im Bundestag eine Aktuelle Stunde zum § 218 statt. Ich finde, wir sollten uns davor versammeln, nur, um sie ein bisschen unter Druck zu setzen«, meldet sich Rita.
Auch das wird abgenickt.
Gertrud liest – wie immer eigentlich. Doch diesmal ist es kein Roman – vorzugsweise von Klara, die ihre Werke für alle Mitglieder kostenlos drucken lässt. Lisa hat mal reingeschaut. Es ging um Limonen und Limetten oder so.
Heute hat Gertrud den neuesten Berlinführer am Wickel.
»Vier Mal, bisher«, knurrt sie, ohne den Kopf zu heben. »Hört euch das an! Während der Wanderung über die zahlreichen Brücken, die Berlins Verkehr von einem Stadtteil in den anderen erst ermöglichen, trifft man vermehrt auf die einheimische Bevölkerung und das ganz besondere Flair, das nur die Hauptstadt in dieser Form zu bieten hat. JETZT! Viele BERLINER gehen hierbei ...« Vielsagend sieht sie in die Runde; einstimmiges entrüstetes Schnauben ertönt.
»Es geht weiter«, verkündet sie mit Grabesstimme. » Der Herausgeber sprach bei Erstellung dieses FÜHRERS mit etlichen BERLINERN ...« Peggy, die gerade Erdnüsse gebracht hat, murmelt: »Ich glaube das nicht!«
Klara greift in die Schüssel, bevor sie noch ganz steht, und wirft sich mindestens zehn der ungesalzenen Naturprodukte in den Mund. »Freschscheit«, pflichtet sie bei. »Die Scheinsche ...« Sie schluckt. »… machen das absichtlich.«
»Aber
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