Starke Frau, was nun?
beschließt, die gesamte verdammte Silvestersendung zu boykottieren. Wenn sie nicht mitspielt, kann er sich auch nicht auf ihre Kosten lustig machen.
Doch zunächst muss sie am Morgen des 31. Dezember ihren Mädchen beichten, dass sie am Abend nicht bei ihnen sein wird. Diesmal übernimmt sie das persönlich. So viel ist sie ihnen schuldig.
Man hat sich bereits früh bei Peggy eingefunden, um noch ein paar Banner anzufertigen. Wie in jedem Jahr wollen sie am Brandenburger Tor die traditionelle Gegendemo veranstalten.
Brot statt Böller
Dieses Jahr haben sich noch nie da gewesene 250 Teilnehmer angesagt. Dementsprechende Aufregung herrscht in Peggys eher kleiner Wohnung.
Als sie mit ihrer Hiobsbotschaft herausrückt, stößt sie zunächst auf ungläubige Gesichter; Gertrud erholt sich zuerst. »Was? Das kannst du uns nicht antun!«
Lisa seufzt. »Ehrlich, es tut mir so leid, aber ich kann es nicht ändern.«
Rita mustert sie mitleidig, doch Peggy platzt der Kragen. »Das ist nicht länger akzeptabel! Du solltest dringend deine Einstellung überprüfen!«
Was auch immer sie sagt, sie stößt auf taube Ohren. Die Frauen sind ernsthaft und zutiefst sauer. Als sie an der Suffragettenfront so gar nichts ausrichten kann und sich langsam, aber sicher, wie ein ziemlich ungebetener Eindringling vorkommt, macht sie, dass sie davonkommt.
Auf eine Vorbereitung der Sendung verzichtet der edle Chris heute. »Es ist Silvester. So etwas moderiert man am besten spontan.« Weshalb ihr ausreichend Zeit bleibt, einen Abstecher bei Robert einzulegen, um Kraft zu tanken.
Die hat sie auch bitter nötig.
Das erkennt sie, sobald sie den Senderaum betreten hat. Denn dieser verdammte Ami hat vorgesorgt: Nicht nur, dass die dämlichsten Girlanden an der Decke entlanggespannt sind und Luftschlangen ständig den Versuch unternehmen, sie zu würgen, nein, sie macht auch etliche Flaschen Champagner aus.
Aber sie hat ja inzwischen gelernt und ignoriert das Desaster trotz seines erwartungsvollen Blickes total. Jedenfalls, bis die Mikros offen sind.
»Das ist ... sehr mutig«, konstatiert sie direkt nach der Anmoderation.
»Was denn?«
»Alkohol ist während der Arbeitszeit strikt untersagt!«
Stirnrunzelnd betrachtet er den Champagner, dann schüttelt er geduldig den Kopf. »Das ist doch kein Alkohol, Honey.«
»Sondern?«
»Blubberwasser mit etwas Wein versetzt.«
Also, Lisa hat nicht sonderlich viel Ahnung, aber dass da mit Sicherheit etwas anderes als Schaumwein steht, erkennt selbst sie. »Verboten ist es trotzdem«, beharrt sie.
»Und wer soll uns verhaften?«
»Bitte?«
»Du sagst, es wäre ungesetzlich ...« Mit einem lauten Knall köpft er eine Flasche Champagner, und zwar direkt vor dem Mikro, damit die BILD-Leser auch was davon haben – einen Hörsturz oder so. »Wer soll uns für unser Vergehen belangen?«
»Keine Ahnung«, knurrt sie. »Aber wir werden es wohl bald erfahren. Während wir auf die Inquisition warten, hören wir › Bittersweet Symphonie ‹ von The Verve.«
Nachdem sie die Mikros ausgestellt hat, beobachtet sie, wie er in aller Seelenruhe den Champagner in zwei Gläser füllt. »Chris, das ist wirklich nicht gestattet! Schon wegen der Technik!«
Seine Miene hat etwas zutiefst Erschöpftes, als er antwortet. »Sie kann sich einfach nicht amüsieren.«
»Häh?«
Schließlich sieht er doch auf und seufzt. »Heute ist der 31. Dezember – der einzige Tag, an dem man mal über die Stränge schlagen darf, und du bringst es einfach nicht, mal etwas lockerer zu werden! Das ist echt schade!« Die Gläser sind inzwischen voll und Lisa stöhnt erleichtert, weil das Zeug wenigstens nicht überschäumt, bevor sie losfaucht: »Mann! Wir arbeiten ! Das war deine beschissene Idee! Ehrlich, warum muss ich dir das sagen?«
»Arbeit bedeutet nicht zwangsläufig, dass man sich nicht amüsieren kann«, bemerkt er.
»ES IST VERBOTEN!«
»Und ich setze das Verbot aus!«
»Ach!« Unvermittelt lehnt sie sich zurück. »Und das kannst du so einfach?«
Anstatt zu antworten, hebt er die Schultern. Der Titel ist zu Ende; Lisa stellt die Mikros wieder an. »Es ist jetzt 21:15 Uhr. Noch genau zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten bis Mitternacht und Chris hat soeben das Alkoholverbot im Sender ausgesetzt. Ich ahne Schreckliches.«
Grinsend reicht er ihr ein Glas. »Wir müssen anstoßen!«
»Das tut man erst um zwölf; weißt du denn gar nichts?« Selbst auf ihr Augenverdrehen reagiert er nicht; noch immer schwebt ihr
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