Starke Frau, was nun?
Glas bedrohlich über dem Mischpult.
Seufzend nimmt sie es und tippt es beiläufig an seines. »Verpfeift uns bloß nicht, Leute.«
»Niemals! Ich kenne unsere Hörer!«
Abrupt schaut sie auf. »Das kannst du nicht wissen, Chris!«
»Kann ich doch«, erwidert er schulterzuckend.
Entnervt stöhnt sie auf. »Okay!« Diesmal übernimmt er die Ansage. »› Let me be myself ‹ von Three Doors Down.«
Kaum sind die Mikros runter gefahren, faucht sie los. »Hör auf damit!«
»Womit denn jetzt wieder?«
»Mich zu provozieren!«, zischt sie.
»Was?« Der Oberidiot bringt doch tatsächlich eine wirklich verblüffte Miene zustande. Die Vorstellung des Kerls ist bühnenreif!
»Du bist widerlich!«
»Das sagtest du bereits«, nickt er. »Wenn ich mich nicht täusche. Du solltest dir etwas anderes überlegen, sonst wird die Geschichte auf Dauer eintönig.«
»Du stellst mich hin, als wäre ich nicht ganz dicht!«
Anstatt zu antworten, nimmt er zunächst einen Schluck von seinem Champagner und schließt genüsslich die Lider. »Das Zeug ist wirklich genial. Trink, Baby, vielleicht besteht noch Hoffnung.«
Fassungslos starrt sie ihn an; die Wut brodelt inzwischen in ihrer Kehle, denn er zieht seine kranke Tour gnadenlos durch, und heute wird er es zu weit treiben. Das fühlt sie. Heute wird der legendäre Tropfen fallen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Aber bitte, bitte nicht auf das Mischpult!
Das Lied ist zu Ende; beinahe wäre es ihr entgangen. Mit einem Ruck schiebt sie die Mikros auf, ignoriert seinen lauernden Blick, leert in einem Zug ihr Glas, stellt es lautstark beiseite und lehnt sich zu ihm vor. Seine Lippen zucken. »Haste jedacht, ick würde dett nich bringen, wa?«
»Keine Ahnung«, sagt er langsam; die Augen blitzen. »Aber du bist auf jeden Fall immer für eine Überraschung gut.«
Sie weiterhin fixierend füllt er ihr Glas nach, das sie ihm auffordernd entgegenhält. Auch das leert sie in einem Zug und mustert ihn herausfordernd. Noch wirkt er leider nicht ängstlich.
NOCH! Der Typ weiß es nämlich nicht, aber Lisa verträgt keinen Alkohol. Also sie landet nicht unterm Tisch oder so, aber sie ist in alkoholisiertem Zustand nicht mehr ganz zurechnungsfähig. Der Mann ahnt nicht einmal, in welcher Gefahr er schwebt ... und der Sender ganz nebenbei auch.
»Ich will dir mal was sagen ...«, beginnt sie.
»Das kannst du gern, aber bitte nach dem nächsten Titel.«
Sie runzelt die Stirn. Ach so, ja. »› Too close to you ‹ vom edlen Alex Clare, und danach werde ich Chris mal ernsthaft die Meinung sagen. Ich denke, es ist an der Zeit.«
»Schieß los!«, meint er, nachdem die Mikros ausgestellt sind.
»Nein!«, schnaubt sie. »Das hättest du wohl gern, oder? Ich warte selbstverständlich, bis alle dabei sind! Wir machen hier schließlich eine Show!«
Mit verschränkten Armen lehnt er sich zurück. »Bitte.«
Lisa hält ihm ihr leeres Glas hinüber und er betrachtet es argwöhnisch. Ups! So war das wohl doch nicht gemeint, oder? Na ja, wenn sie das richtig sieht, dann steht da noch dreimal Nachschub in der Ecke.
Literflaschen , wohl bemerkt.
Wenn sie die während der Sendezeit vernichten wollen, müssen sie sich ranhalten. Zu einem ähnlichen Schluss scheint der Ami auch soeben zu gelangen, denn er hebt die Schulter und schenkt ihr tatsächlich nach ...
* * *
Ihre Meinung sagt Lisa ihm nicht; dieses Vorhaben ist irgendwie in den Hintergrund getreten, weil sie in den nächsten zwei Stunden gnadenlos übereinander herziehen.
»Chris, ich glaube, heute sind es vier Knöpfe, was man selbst mit Augen zudrücken nicht mehr als angezogen bezeichnen kann. Stellt euch das vor: Er trägt ein weißes Hemd, das bis zum Bauchnabel offen steht und darunter sieht man ... Nein, das ist zu widerlich, um es in Worte zu fassen. Kann es sein, dass du schon zu lange allein bist? Dein Verhalten hat etwas zutiefst Verzweifeltes ...«
Grinsend hebt er sein Glas, doch sein Blick täuscht nicht über seinen Ärger hinweg. »Ich kann mich nicht beklagen. Aber dass gerade du derart um mein sexuelles Wohlergehen besorgt bist, stimmt mich nachdenklich, Baby. Sehr, sehr nachdenklich ...«
Um fünf Minuten vor zwölf schaut er auf. »Leg Bach in die Schleife, es ist gleich so weit!«
»BACH?« Lisa zeigt ihm einen Vogel. »Du spinnst doch! So was wird hier nicht gespielt! Nur über meine Leiche!«
Und endlich verschwindet seine ewige, bekotzte Gelassenheit. »Himmel, um zwölf spielen wir ›AIR‹ VON BACH!
Weitere Kostenlose Bücher