Starke Frauen
nach Berlin.
In Hitlers Deutschland kommt Susanne, Jahrgang 1925, »wie jedes andere deutsche Mädchen auch in den BDM«, schneidet sich heimlich die Zöpfe ab – und wird vom Stiefvater vertrimmt, wenn er sie mit Puder im Gesicht erwischt. Zu seinen strikten Prinzipien gehört, dass sich ordentliche Frauen nicht schminken und über Unangenehmes nicht zu sprechen haben. Nach der Reichsprogromnacht »ging unser Familienleben weiter, als wäre nichts geschehen: ›Das geht uns nichts an.‹ Dieser Satz war mir in Fleisch und Blut übergegangen.«
Susanne wird Cutterin in den Babelsberger Filmstudios, meldet sich Anfang 1945 als Helferin bei der Luftwaffe, eine Bronchitis beendet den Arbeitsdienst. Nach Deutschlands Kapitulation trifft sie in Berlins Trümmern Sven Erichsen. 14 Jahre älter, Norweger. Am 15. Juni 1945 heiraten sie: »Sven gab mir das, was ich mir von einem Vater immer gewünscht hatte.« Die Frischvermählten werden von Rotarmisten in einen Zug gesteckt und in ein sowjetisches Gefangenenlager verschleppt: »Dieser Ort hier schien vergessen vom Rest der Welt. Wir befanden uns in Stalinogorsk, in jenem großen Sammellager ungefähr 200 Kilometer südlich von Moskau.« Diesmal ist sie es, die in Russland hungert. Im russischen Gefangenenlager kriegt sie pro Tag 500 Gramm Schwarzbrot, einige Löffel Zucker, 10 Gramm Machorka (Tabak) ohne Papier, mittags dünne Kohlsuppe mit Heringsköpfen.
Als Sven zurück nach Norwegen darf, wird sie einer Aufbaubrigade zugeteilt – für die Russen ein »Teil der Reparation«. Die junge Frau muss bei 40 Grad minus Mörtel und Steine schleppen. Nach einer schweren Diphtherie kommt sie in ein Bergwerk, sortiert in 70 Metern unter der Erde Kohle. Ihren Mann sieht sie nie wieder.
1947 wird sie entlassen, findet, »verlaust und mit Hungerödemen überzogen«, ihre Eltern in Berlin wieder. Badet das erste Mal nach Jahren: »Das war Freiheit!« Auch von Mamas fetten Suppen kann sie nicht genug kriegen. Sie findet einen Job als Cutterin in den Bavaria-Ateliers und wird auf der Münchner Maximilianstraße von einer Moderedakteurin entdeckt. Aber da Mutters Suppen ihre Wirkung getan haben, soll sie erst einmal als Hutmodell posieren. Um als Mannequin engagiert zu werden, muss sie abnehmen. Trotz Angst vor Hunger: »Ich hatte sogar mit dem Rauchen angefangen, um nicht ständigans Essen denken zu müssen.« Modelt sie, hat sie ein »Schraubglas mit gekochtem Reis und Petersilie« in Greifweite.
1949 wird sie zum schönsten Mannequin Münchens gewählt (der Preis ist ein russischer Silberfuchs) und erhält vom Berliner Modehaus Gehringer & Glupp einen Vertrag als Haus-Mannequin. Während der Miss-Wahl in Baden-Baden kommt es zu einem Eklat. Zwar stimmen 436 der Anwesenden für und 211 gegen Susanne, aber fünf der sieben Preisrichter verlassen unter Protest den Saal. Der Grund? Ein Verstoß gegen das Reglement. Die »Miss« ist kein Fräulein mehr, da sie schon einmal verheiratet war. Susanne darf den Titel behalten, weil ihre Ehe inzwischen annulliert ist.
Der Sieg wird zum Startschuss einer internationalen Karriere auf dem Laufsteg – und das Hungern geht weiter. »Obwohl wir alle schlank waren, trugen wir ständig Korsetts, nicht nur bei den Auftritten, sondern den ganzen Tag ... Schlimm waren auch die Mieder, die eine enge Taille machten und dir den Bauch ganz wegpressten, denn auf einmal durftest du keinen Bauch mehr haben. Das war eine Folter, du konntest kaum was essen.«
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»Schlimm waren die Mieder – eine Folter«
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1952 präsentiert sie die Kollektion von Gehringer & Glupp in New York. Die Amerikaner begeistern sich für die Deutsche, Susanne wird zum Synonym der robusten Generation des Wiederaufbaus, zum »Frolleinwunder«. Und dabei ist sie nicht einmal blond! Für das Magazin Film und Frau posiert Susanne vor Manhattans Skyline. Und plötzlich weiß jedes deutsche Mädchen, dass es einmal auch ein Model werden will.
Zehn Jahre pendelt sie zwischen New York und Berlin, verdient pro Stunde so viel wie ein deutscher Industriearbeiter im Monat: fast 100 Dollar (etwa 420 Mark). Aber satt ist sie nie: »Anders als in Berlin waren die Kleider der New Yorker Modehäuser nicht maßgeschneidert, sondern nach Größen gefertigt. Als Mannequin musste man hineinpassen, oder man bekam keine Jobs mehr.« Also nimmt sie Pillen: gegen Hunger, zum Entwässern, zum Aufputschen, zum Einschlafen. Dazu 40 Zigaretten am Tag, Scotch und Marihuana: Die Glitzerwelt, das furiose
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