Starke Frauen
wirkliche Frau zu sein, berichtet ihre Freundin, die Bildhauerin Clara Westhoff, ihrem Ehemann, dem Dichter Rainer Maria Rilke. Als Clara eine Tochter bekommt, fragt die verzweifelte Paula ihr Tagebuch: »Muss Liebe knausern? Muss sie einem alles geben und anderen nehmen?«
Tatsache ist, sie kann kein Kind haben, da sie nach fünf Ehejahren immer noch eine Jungfrau ist: Modersohn ist impotent. Paula will nach Paris, diesmal für immer, aber sie hat nicht einmal das Geld für eine Fahrkarte.
Der weit gereiste Dichter Rainer Maria Rilke, Ehemann ihrer besten Freundin Clara Westhoff, sieht Paulas Bilder mit anderen Augen als der »Provinzler« Modersohn und berichtet einem Gönner: »Das Merkwürdigste war, Modersohns Frau an einer ganz eigenen Entwicklung ihrer Malerei zu finden, rücksichtslos und geradeaus malend, Dinge, die sehr worpswedisch sind und die noch nie eine sehen und malen konnte. Und auf diesem ganz eigenen Wege sich mit van Gogh und seiner Richtung seltsam berühren.« Spontan entschlossen, kauft er für 120 Mark Paulas »Säugling mit der Hand der Mutter«. Das ist für sie ein »Ja« eines Dichtergenies zu ihren Fluchtplänen.
Am 23. Februar 1906 bricht Paula von Worpswede in Richtung Paris auf. Tagebucheintrag: »Nun habe ich Otto Modersohn verlassen und stehe zwischen meinem alten und meinem neuen Leben.«
Ihr Ehemann ist schockiert: »Warum? Keine Nacht finde ich Schlaf – keinen Strich kann ich malen – kein Wort kann ich lesen. Dass ich so blind war!« Paula an einen Freund: »Ich habe fünf Jahre neben ihm gelebt, ohne dass er mich zu seiner Frau machte, das war Tierquälerei.« Für eine Frau Wilhelminischer Ära gehört reichlich Mut dazu, einem Mann Impotenz vorzuwerfen.
Jetzt malt sie um ihr Leben, schläft auf dem Atelierboden, umgeben von ihren Bildern. Um Farbe und Leinwände kaufen zu können, um Modelle bezahlen zu können, bittet sie Modersohn: »Willst du mirfür die nächste Zeit monatlich 120 Mark geben, dass ich leben kann?« Und Modersohn zeigt Größe, schickt das Geld: »Zähle auf mich, rechne auf mich. Lebe dein Leben.« Sprich: Er gibt sie frei für erotische Erlebnisse, wenn sie nur eines Tages wieder zurückkehren würde.
Paula malt. Eine Mutter, die mit ihrem Baby kuschelt, nackt. Nie zuvor hat es jemand gewagt, eine Szene von solch weiblicher Intimität zu malen. Ihrer Mutter schreibt sie: »Ich glaube, ich habe etwas vollbracht, was gut ist.« Am 25. Mai 1906 entsteht der Halbakt einer hochschwangeren Frau. Dieses Selbstporträt legt ihren heiligsten Wunsch offen – Mutter zu werden: »Dies malte ich mit 30 Jahren am meinem 6. Hochzeitstage. P. B.« Sie signiert mit ihrem Mädchennamen.
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»Dass man, wenn man heiratet, so furchtbar festsitzt, ist etwas schwer«
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Endlich findet sich jemand, der ihre Arbeiten mag: der Bildhauer Bernhard Hoetger. Nachdem er sie in ihrem Atelier besuchte, heißt es: »Dort erlebte ich still und ergriffen ein Wunder. Ich konnte ihr nur sagen: ›Es sind alles große Werke, bleiben Sie sich treu!‹« Paula kann es kaum fassen: »Dass Sie an mich glauben ...«
Pfingsten steht ihr Mann vor der Tür, um sie zurückzuholen; die Aussprachen enden ergebnislos. 3. September 1906: »Nun möchte ich dich bitten: Gib mich frei, Otto. Ich mag dich nicht zum Manne haben. Du sprichst immer von dem ›Kinde‹. Mit dem Kind eilt es nicht so. Erst will ich einen Mann haben.« Im selben Brief bittet sie nochmals um Geld, sie weiß: Was sie bisher schuf, entstand im Schutz der Ehe.
Am 9. September 1906 nimmt sie alles zurück: »Wenn du mich überhaupt noch nicht aufgegeben hast, so komme bald her, dass wir versuchen, uns wiederzufinden.« Was ist passiert? Hat Hoetger, der von seiner reichen russischen Ehefrau unterstützt wird, sie überredet, die »Vernunft« walten zu lassen? Paula ist um ihrer Kunst willen bereit, in den bürgerlichen Schutzraum zurückzukehren: »Ich armes Menschlein, ich fühle nicht, welches mein richtiger Weg ist.«
Otto kommt, bleibt über den Winter, sie gehen aus, unternehmen kleine Ausflüge. Ihre Selbstbildnisse aus diesen Tagen erinnern an diePorträts der ägyptischen Mumien: Es sind Bilder, die von den Augen leben, die einen aus dem Jenseits anschauen. Paula malt, was sie erahnt, erwartet: Abschied. In den letzten Tagen ihres letzten Parisaufenthalts wird sie schwanger. Monate zuvor hat Paula mit der gleichen Ergebenheit, mit der sie ihren frühen Tod vorhergesehen hat, aufgeschrieben, wie ihr Grab
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