Starke Frauen
Kunst ist ja ein großer Theil meines Ichs, es ist mir die Luft, in der ich atme!« Dennoch: Ohne Robert wird sie wieder zu jenem »Spiel-Automaten«, zu dem sie ihr Vater formte. Ihr letztes Konzert gibt Clara Schumann am 12. März 1891, sie ist 71.
Sie wurde zwar nicht Roberts »Doppelgänger«, und auch der romantische Liebesbund zweier Künstler wird zu keiner ebenbürtigen Partnerschaft. Aber ihre Beziehung war ein kühner Versuch einer künstlerischen »Kooperation« zwischen Mann und Frau. Geblieben ist, wie so oft, nur der Ruhm des Mannes.
Als sie alle Strecken kennt, wählt sie eine neue Route: einmal um die ganze Welt. Mit 26 fährt die Milliardärstochter tatsächlich los und umrundet als erster Mensch die Erdkugel im Auto. Wohlgemerkt in einer Zeit, als es vielerorts keine Straßen gibt, geschweige denn Tankstellen. Ihr persönlich brachte das wahnwitzige Abenteuer internationalen Ruhm, der deutschen Autoindustrie einen veritablen Aufschwung.
Am 20. September 1909 landet Graf Zeppelin mit seinem Luftschiff auf einer Wiese bei Essen. Die Bergleute bekommen aus diesem Anlass Sonderurlaub und die Mülheimer Kinder schulfrei, weil Hugo Stinnes es wünscht. Seit diesem Tag ist Clärenore sicher, dass ihr Vater der mächtigste Mann der Welt sei. Zu sehen bekommt sie ihn allerdings selten, da der »Ruhrbaron« sein Imperium verwalten muss, das heißt: rund 1500 Unternehmen, darunter 81 Kohlebergwerke, 56 Hütten, 50 Banken, 37 Raffinerien, Reedereien, Verlage, Zeitungen, Hotelbeteiligungen. Darf sie mal in sein Büro, lässt er sie auf einer riesigen Weltkarte nach den Stinnes-Niederlassungen suchen: Istanbul, Damaskus, Tokio, Los Angeles, Buenos Aires, Chicago, Moskau ... Namen, die nach Ferne duften.
Um 1910 ist Mülheim eine der reichsten Städte Deutschlands. Hier leben die meisten Millionäre auf tausend Einwohner, hier sind die Keimzellen eines globalen Unternehmertums entstanden, die nach den Gesetzen des Marktes agieren, jenseits von nationalen oder sozialen Erwägungen.
Clärenore tummelt sich am liebsten in Maschinenhäusern, um Zündkerzen zu reinigen oder Kupplungen zu schleifen. Mit 13 kennt die höhere Tochter alle Motor- und Autotypen: »Oft musste ich hören, dass ich mich gar nicht wie ein Mädchen zu benehmen wüsste und schlimmer noch als die Jungen sei«, schreibt sie später in ihrem Buch Im Auto durch zwei Kontinente . 1919 macht sie den Führerschein, kurz darauf schickt sie der Vater nach Argentinien, um für die Firma nach »lohnenden Objekten« zu suchen. Die lateinamerikanischen Großgrundbesitzer möchten der reichen Erbin Tango beibringen, sie jedoch nimmt sich ihre Bilanzen vor: »Seit ich die Schule verlassen hatte, war ich gewohnt, zu arbeiten – Arbeit in männlichen Berufen, teils um sie zu erlernen, teils im Auftrag meines Vaters.«
Der Vater ist von ihrem Schlussbericht beeindruckt, aber er willsie trotzdem nicht in seiner Machtzentrale haben. Statt einer Aufgabe schenkt er ihr ein Auto: einen Maybach W3, Sechszylinder, 70 PS. Clärenore, verletzt und enttäuscht, stürzt sich in das Nachtleben von Berlin. Sie raucht Kette, ist trinkfest, bevorzugt bequeme Männerkleidung und tanzt barfuß im »Kempinski«. Außerdem freundet sie sich mit bolschewistischen Diplomaten an, welche die Sitten der Kapitalisten studieren (zwecks Vernichtung). Um dem Gefühl, nutzlos zu sein, zu entkommen, arbeitet sie (unter Pseudonym) als Produktionsassistentin bei der Westi-Film GmbH. Hugo Stinnes kauft die Firma. Die Tochter reagiert ihren Frust auf der Berliner Rennstrecke Avus ab (die ihrem Vater gehört). Und nimmt sich vor, Rennfahrerin zu werden – notfalls ohne Papas Segen.
Ein Automobil – das war in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts Symbol des Unabhängigkeitsstrebens, es steht für Geschwindigkeit, urbanes Lebensgefühl, grenzenlose Mobilität. Clärenores Credo lautet: Ich fahre, also bin ich.
1924 stirbt der Magnat nach einem Kunstfehler während einer Routineoperation. Clärenores Brüder verweigern ihr den Zugang zur Konzernführung. Noch im selben Jahr gewinnt Clärenore unter dem Namen »Fräulein Lehmann« ihr erstes Rennen.
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»Bist du ein guter Sportler, öffnen sich die Türen«
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Bis 1927 sind es 17. 1925 wird sie zu einer Rallye eingeladen, die von Leningrad nach Moskau führt. Clärenore startet als einzige Frau unter 52 Männern aus 13 Nationen – und gewinnt in ihrer Klasse. Die Frau muss aus Stahl sein, spotten die Verlierer. »Sie wären«,
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