Starkes Gift
wichtig, nicht? Wann war denn das ungefähr?«
»Hm – vor anderthalb Jahren, glaube ich. Ganz genau weiß ich es nicht.«
»Und da Mrs. Wrayburn inzwischen so kindisch ist, wie Sie sagen, konnte er wohl auch nicht darauf hoffen, daß sie ihr Testament noch ändern würde, oder?«
»Auf keinen Fall.«
»Verstehe. Nun, ich glaube, damit läßt sich etwas anfangen. Große Enttäuschung – man kann ja davon ausgehen, daß er doch sehr damit gerechnet hatte. Ist es übrigens viel?«
»Ganz ordentlich – etwa siebzig- bis achtzigtausend.«
»Zum Krankwerden – die Vorstellung, daß all dieses schöne Geld flöten geht und man selbst es nicht einmal zu riechen bekommt. Übrigens, wie steht’s mit Ihnen? Bekommen Sie auch nichts? Verzeihung, schrecklich neugierig von mir, aber ich meine nur, wo Sie sich doch seit Jahren um sie kümmern und ihr einziger erreichbarer Verwandter sind, wäre das doch sozusagen ein starkes Stück, wie?«
Der Anwalt runzelte die Stirn, und Wimsey entschuldigte sich.
»Ich weiß, ich weiß – es war eine unverschämte Frage. Das ist eine Schwäche von mir. Außerdem wird es sowieso in der Zeitung stehen, wenn die alte Dame erst den Löffel hinlegt, also weiß ich gar nicht, wozu ich Sie so ausquetschen soll. Vergessen Sie’s – es tut mir leid.«
»Eigentlich gibt es keinen Grund, warum Sie es nicht wissen sollten«, sagte Mr. Urquhart langsam. »Man zögert eben nur von Berufs wegen, über die Angelegenheiten seiner Klienten zu sprechen. Es ist so, daß ich selbst der Erbe bin.«
»Oho!« machte Wimsey mit enttäuschter Stimme. »In diesem Falle – das erschüttert doch unsere Theorie ein wenig, oder? Ich meine, Ihr Vetter könnte doch dann gehofft haben, sich an Sie wenden zu können – das heißt – ich weiß natürlich nicht, wie Sie selbst darüber gedacht hätten –«
Mr. Urquhart schüttelte den Kopf.
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, und der Gedanke liegt ja auch nahe. Aber in Wahrheit hätte eine solche Verwendung des Geldes im direkten Widerspruch zum ausdrücklichen Wunsch der Erblasserin gestanden. Selbst wenn ich das Geld auf legale Weise hätte weitergeben können, wäre ich moralisch gebunden gewesen, es nicht zu tun, und das habe ich Philip auch erklärt. Natürlich hätte ich ihm dann und wann mit einer kleinen Zuwendung unter die Arme greifen können, aber ehrlich gesagt, große Lust hätte ich auch dazu nicht gehabt. In meinen Augen konnte Philip nur dann hoffen, aus seinen Schwierigkeiten herauszukommen, wenn er es mit eigener Arbeit zu etwas brachte. Er neigte ein wenig dazu – obwohl ich nicht schlecht über einen Toten reden möchte –, sich gern, äh, auf andere zu verlassen.«
»Ach so. Und daran hat gewiß auch Mrs. Wrayburn gedacht.«
»Nicht unbedingt. Nein. Dahinter steckte mehr. Sie war der Meinung, von ihrer Familie schlecht behandelt worden zu sein. Mit einem Wort – ach was, wenn ich Ihnen schon soviel gesagt habe, kann ich Ihnen auch gleich ihre ipsissima verba vorlesen.«
Er läutete mit der Glocke auf seinem Schreibtisch.
»Das Testament selbst habe ich nicht hier, wohl aber den Entwurf. Oh, Miss Murchison, könnten Sie so nett sein und mir die Dokumentenkassette mit der Aufschrift ›Wrayburn‹ bringen? Mr. Pond zeigt sie Ihnen. Sie ist nicht schwer.«
Die Dame aus dem »Katzenhaus« zog sich stumm zurück, um die Kassette zu holen.
»Das ist alles höchst irregulär, Lord Peter«, fuhr Mr. Urquhart fort, »aber es gibt Momente, da ist zuviel Korrektheit ebenso schlecht wie zuwenig, und ich möchte schon, daß Sie genau verstehen, warum ich gezwungen war, diese kompromißlose Haltung gegenüber meinem Vetter einzunehmen. Ah, danke, Miss Murchison.«
Er öffnete die Kassette mit Hilfe eines Schlüssels, den er mit einem ganzen Bund aus der Hosentasche zog, und blätterte etliche Papiere durch. Wimsey beobachtete ihn mit dem Gesichtsausdruck eines nicht sehr intelligenten Terriers, der einen Leckerbissen erwartet.
»Ach Gott, ach Gott!« entfuhr es dem Anwalt. »Es scheint überhaupt nicht – ja natürlich, wie kann man nur so vergeßlich sein! Entschuldigen Sie vielmals. Ich habe den Entwurf zu Hause in meinem Safe. Ich hatte ihn im letzten Juni, als Mrs. Wrayburns Gesundheitszustand wieder Anlaß zur Sorge gab, aus der Kassette genommen, um etwas nachzusehen, und in der Aufregung um den Tod meines Vetters habe ich ganz vergessen, ihn wieder herzubringen. Nun, der Inhalt ist im wesentlichen –«
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