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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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nur«, sagte Wimsey, »das hat keine Eile. Wenn ich Sie morgen zu Hause aufsuchte, vielleicht könnte ich es dann sehen?«
    »Auf jeden Fall, wenn Sie es für wichtig halten. Ich muß mich für meine Vergeßlichkeit entschuldigen. Gibt es inzwischen noch etwas, womit ich Ihnen in dieser Angelegenheit dienen könnte?«
    Wimsey stellte noch ein paar Fragen in der Richtung, die auch Bunter bei seinem Erkundungstee schon erforscht hatte, und verabschiedete sich dann. Miss Murchison saß im Vorzimmer wieder bei ihrer Arbeit. Sie sah nicht auf, als er hinausging.
    »Merkwürdig«, dachte Wimsey, während er durch die Bedford Row eilte, »alle sind in diesem Fall so erstaunlich hilfsbereit. Sie beantworten einem bereitwillig Fragen, die zu stellen man gar kein Recht hat, und ergehen sich völlig unnötig in ausführlichen Erklärungen. Keiner scheint irgend etwas zu verbergen zu haben. Man muß sich einfach wundern. Vielleicht hat der Bursche wirklich Selbstmord begangen. Hoffentlich! Wenn ich ihn doch nur selbst verhören könnte! Ich würde ihn schon durch die Mangel drehen, hol’s der Kuckuck! Jetzt habe ich schon mindestens fünfzehn Aussagen über seinen Charakter – und alle verschieden … Es ist doch wirklich nicht die feine Art, Selbstmord zu begehen, ohne einen Zettel zu hinterlassen, auf dem steht, daß man es selbst war – damit kann man andere Leute in die größten Schwierigkeiten bringen. Wenn ich mir einmal eine Kugel durch den Kopf jage –«
    Er hielt inne.
    »Hoffentlich werde ich das nie wollen«, sagte er. »Hoffentlich brauche ich es nie zu wollen. Mutter würde das nicht mögen, und es ist auch so unappetitlich. Aber allmählich macht es mir keinen Spaß mehr, Leute an den Galgen zu bringen. Es ist so häßlich für ihre Freunde …. Ich sollte lieber nicht ans Aufhängen denken. Das ist nicht gut für die Nerven.«

11. Kapitel
    Wimsey fand sich am nächsten Morgen um neun Uhr in Mr. Urquharts Haus ein und traf diesen Herrn beim Frühstück an.
    »Ich habe mir gedacht, ich erreiche Sie vielleicht noch, bevor Sie ins Büro gehen«, entschuldigte sich Seine Lordschaft.
    »Herzlichen Dank, aber ich habe die Morgenfütterung schon hinter mir. Nein, wirklich, danke – ich trinke nie etwas vor elf. Schlecht für die Eingeweide.«
    »Also, ich habe den Entwurf für Sie gefunden«, sagte Mr. Urquhart freundlich. »Sie können einen Blick darauf werfen, während ich meinen Kaffee trinke, wenn Sie entschuldigen wollen, daß ich weiter frühstücke. Die Familie wird darin ein wenig auseinandergenommen, aber schließlich gehört das alles schon längst der Vergangenheit an.«
    Er holte ein maschinebeschriebenes Blatt Papier von einem Beistelltischchen und reichte es Wimsey, der ganz nebenbei bemerkte, daß es auf einer Woodstock-Maschine mit einem leicht beschädigten kleinen p und einem etwas aus der Zeile gerutschten großen A geschrieben war.
    »Am besten erkläre ich Ihnen zuerst genau die familiären Verbindungen zwischen den Boyes und den Urquharts«, fuhr er fort, indem er zum Frühstückstisch zurückkehrte, »dann verstehen Sie das Testament besser. Der gemeinsame Ahne ist der alte John Hubbard, ein hochachtbarer Bankier zu Anfang des vorigen Jahrhunderts. Er lebte in Nottingham, und die Bank war, wie in jenen Tagen üblich, ein privates Familienunternehmen. Er hatte drei Töchter, Jane, Mary und Rosanna. Er gab ihnen eine gute Erziehung, und die drei jungen Damen wären ganz gute Partien gewesen, wenn der alte Knabe nicht die üblichen Fehler gemacht hätte – gewagte Spekulationen, zu nachsichtig mit den Kunden, die alte Geschichte. Die Bank ging pleite, und die drei Töchter blieben mittellos zurück. Jane, die älteste, heiratete einen gewissen Henry Brown, einen Schulmeister. Er war sehr arm und geradezu abstoßend moralisch. Sie hatten eine Tochter namens Julia, die schließlich einen Priester heiratete, den Pfarrer Arthur Boyes. Mary, die zweite Tochter, machte finanziell eine bessere Partie, obwohl sie gesellschaftlich unter ihrem Stand heiratete. Sie gab ihre Hand einem gewissen Josiah Urquhart, einem Handelsvertreter, was für die Familie ein schwerer Schlag war. Aber Josiah entstammte einer ursprünglich sehr geachteten Familie und war ein hochanständiger Mann, und so fanden sie sich damit ab. Mary hatte einen Sohn, Charles Urquhart, der sich aus dem entehrenden Geruch des reisenden Gewerbes befreien konnte. Er trat in eine Anwaltskanzlei ein, machte sich sehr gut und wurde

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