Starkes Gift
ich Ihnen Einzelheiten aus meiner finsteren Vergangenheit erzählen?«
»Bitte nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich mag von all diesen anderen nichts hören.«
»Ha, wirklich nicht? Das klingt schon ziemlich hoffnungsvoll. Ich meine, wenn Sie wie eine Mutter für mich fühlten, würden Sie mir um jeden Preis helfen und mich verstehen wollen. Ich hasse es, wenn man mich verstehen und mir helfen will. Und schließlich war es nie etwas Ernstes – außer natürlich bei Barbara.«
»Wer war Barbara?« fragte Harriet rasch.
»Ach, ein Mädchen. Im Grunde habe ich ihr sehr viel zu verdanken«, antwortete Wimsey nachdenklich. »Als sie diesen andern Kerl heiratete, habe ich mich zum Trost der Kriminalistik zugewandt, und das hat mir alles in allem schon viel Spaß bereitet. Meine Güte, ja – ich war damals wirklich sehr am Boden zerstört. Ich habe ihretwegen sogar einen Sonderkurs in Logik absolviert.«
»Großer Gott!«
»Nur um immer wieder sagen zu dürfen: ›Barbara celarent darii ferio baralipton.‹ Das hatte irgendwie so einen romantischen Unterton, der Leidenschaft ausdrückte. In so mancher Mondnacht habe ich es den Nachtigallen vorgeflüstert, die im Garten vom St. John’s College ihr Unwesen trieben – ich selbst war natürlich am Balliol, aber die Gebäude liegen nebeneinander.«
»Wenn je eine Frau Sie heiratet, dann nur, um Sie blödeln zu hören«, sagte Harriet heftig.
»Ein wenig schmeichelhafter Grund, aber besser als gar keiner.«
»Ich habe selbst immer gern geblödelt«, sagte Harriet mit Tränen in den Augen, »aber das hat man mir abgewöhnt.
Wissen Sie – ich bin von Natur aus wirklich ein fröhlicher Mensch – so schwermütig und mißtrauisch bin ich in Wirklichkeit gar nicht. Aber irgendwie sind mir die Nerven abhanden gekommen.«
»Kein Wunder; armes Kind. Aber darüber werden Sie hinwegkommen. Lächeln Sie nur, und lassen Sie Onkel Peter machen.«
Als Wimsey nach Hause kam, erwartete ihn ein Brief.
»Sehr geehrter Lord Peter – Wie Sie sehen konnten, habe ich die Stelle bekommen. Miss Climpson hat sechs von uns hingeschickt, alle natürlich mit verschiedenen Lebensläufen und Referenzen, und Mr. Pond (der Bürovorsteher) hat mich vorbehaltlich Mr. Urquharts Zustimmung eingestellt.
Ich bin erst ein paar Tage hier und kann daher noch nicht viel über meinen Arbeitgeber persönlich sagen, außer daß er eine Naschkatze ist und heimliche Vorräte an Schokolade und Pralinen in seinem Schreibtisch hat, die er sich beim Diktieren verstohlen in den Mund stopft. Im übrigen scheint er ganz angenehm zu sein.
Aber auf eines bin ich gestoßen. Ich glaube, es würde sich lohnen, sich einmal mit seinen Finanzen zu beschäftigen. Ich habe nämlich schon ziemlich viel mit Börsengeschäften zu tun gehabt, und gestern mußte ich in seiner Abwesenheit einen Anruf entgegennehmen, der nicht für meine Ohren bestimmt war. Einem anderen hätte der Anruf sicher nichts gesagt, wohl aber mir, da mir über den Anrufer einiges bekannt ist. Versuchen Sie festzustellen, ob Mr. U. jemals etwas mit dem Megatherium Trust zu tun hatte, vor dem großen Krach.
Ich melde mich wieder, wenn etwas vorliegt.
Hochachtungsvoll
Joan Murchison.«
»Megatherium Trust?« sagte Wimsey. »Mit so was sollte ein respektabler Anwalt sich aber eigentlich nicht abgeben.
Ich werde mal Freddy Arbuthnot fragen. Er ist zwar sonst ein Esel, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grunde versteht er etwas von Aktien und Börsengeschäften.«
Er las den Brief noch einmal und registrierte ganz mechanisch, daß er auf einer Woodstock-Maschine mit einem beschädigten kleinen p und einem aus der Zeile gerutschten großen A geschrieben war.
Plötzlich wachte er auf, las den Brief ein drittes Mal und bemerkte plötzlich gar nicht mehr mechanisch das beschädigte p und das verrutschte A.
Dann setzte er sich hin, schrieb ein paar Zeilen auf einen Briefbogen, faltete ihn zusammen, adressierte ihn an Miss Murchison und schickte Bunter, ihn zur Post zu bringen.
Zum erstenmal in diesem ganzen ärgerlichen Fall fühlte er eine unbestimmte Regung, während sich in seinem tiefsten Innern ein sehr bestimmter Gedanke langsam und düster zu formen begann.
12. Kapitel
Als Wimsey ein alter Mann war und noch redseliger denn je, pflegte er zu sagen, daß die Erinnerung an jene Weihnacht in Duke’s Denver ihn die nächsten zwanzig Jahre Nacht für Nacht im Traum verfolgt habe. Es kann aber sein, daß seine Erinnerung hier übertrieb. Fest
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