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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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gemütliche, mit braunem Leder bezogene Sessel. Die Vorhänge waren zugezogen, im Kamin prasselte ein Holzfeuer, und davor stand ein Tisch mit einem silbernen Teeservice, dessen hübsche Formen das Auge erfreuten.
    Als sie eintrat, ringelte ihr Arbeitgeber sich aus den Tiefen eines Sessels empor, legte einen alten Folianten weg, in dem er gelesen hatte, und begrüßte sie mit dieser kühlen, etwas heiseren und träge klingenden Stimme, die sie schon in Mr. Urquharts Büro gehört hatte.
    »Furchtbar nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind, Miss Murchison. Scheußlicher Tag, was? Sie können gewiß eine Tasse Tee vertragen. Essen Sie Crumpets? Oder möchten Sie lieber etwas Moderneres?«
    »Danke«, sagte Miss Murchison, während Bunter untertänig neben ihr wartete, »ich esse Crumpets sehr gern.«
    »Sehr gut! Bunter, wir werden allein mit der Teekanne fertig. Bringen Sie Miss Murchison noch ein Kissen, dann können Sie sich trollen. Wieder bei der Arbeit, ja? Wie geht’s unserm Mr. Urquhart?«
    »Ganz gut.« Miss Murchison war noch nie sehr gesprächig gewesen. »Aber eines möchte ich Ihnen gern erzählen –«
    »Wir haben Zeit«, sagte Wimsey. »Lassen Sie Ihren Tee nicht kalt werden.« Er bediente sie mit einer Aufmerksamkeit, die ihr gefiel. Sie äußerte sich bewundernd über die goldenen Chrysanthemen, die in allen Ecken das Zimmer schmückten.
    »O ja! Freut mich, daß sie Ihnen gefallen. Meine Freunde sagen immer, die Wohnung bekäme dadurch etwas Feminines, aber eigentlich ist Bunter derjenige, der dafür sorgt. Sie bringen hier ein wenig Farbe hinein, finden Sie nicht?«
    »Die Bücher sehen ja auch maskulin genug aus.«
    »O ja – die sind mein Steckenpferd. Bücher – und natürlich Verbrechen. Aber Verbrechen sind nicht so dekorativ. Ich würde nicht gern Henkerseile und Mördermäntel sammeln. Was sollte man damit anfangen? Ist der Tee gut so? Eigentlich hätte ich Sie bitten müssen, einzuschenken, aber es kommt mir immer etwas unfair vor, jemanden einzuladen und ihn dann für sich arbeiten zu lassen. Was machen Sie übrigens, wenn Sie nicht arbeiten? Haben Sie auch eine heimliche Leidenschaft?«
    »Ich besuche Konzerte«, sagte Miss Murchison. »Und wenn es gerade kein Konzert gibt, lege ich mir eine Schallplatte auf.«
    »Musikerin?«
    »Nein – ich konnte mir nie leisten, es richtig zu lernen. Ich glaube schon, daß ich eine hätte werden sollen. Aber als Sekretärin konnte ich mehr verdienen.«
    »Vermutlich.«
    »Sofern man nicht erstklassig ist, und das wäre ich nie geworden. Drittklassige Musiker sind eine Plage.«
    »Die haben auch kein schönes Leben«, sagte Wimsey.
    »Mir ist es gräßlich, wenn ich sie in den Kinos spielen sehe, die armen Kreaturen, den größten Kitsch mit ein paar Happen Mendelssohn und ein paar zusammenhanglosen Takten aus der ›Unvollendeten‹. Möchten Sie ein Häppchen? Mögen Sie Bach? Oder nur die Modernen?«
    Er begab sich an den Flügel.
    »Das überlasse ich Ihnen«, sagte Miss Murchison, nicht wenig überrascht.
    »Mir ist heute abend mehr nach dem Italienischen Konzert. Es klingt besser auf dem Cembalo, aber ich habe keins hier. Ich finde Bach gut für den Kopf. Stabilisierender Einfluß und so.«
    Er spielte das Konzert von Anfang bis Ende und ließ nach ein paar Sekunden Pause noch ein Stück aus dem Wohltemperierten Klavier folgen. Er spielte gut und vermittelte einen merkwürdigen Eindruck von beherrschter Kraft, die bei einem so schmächtigen Mann mit so bizarrem Benehmen ein wenig unerwartet kam, ja beunruhigend wirkte. Als er fertig war, fragte er, immer noch am Flügel sitzend:
    »Haben Sie sich um die Sache mit der Schreibmaschine gekümmert?«
    »Ja. Sie wurde vor drei Jahren fabrikneu gekauft.«
    »Gut. Übrigens scheint es, als ob Sie mit Mr. Urquharts Beziehungen zum Megatherium Trust recht hätten. Da haben Sie eine sehr nützliche Beobachtung gemacht. Betrachten Sie das als ein hohes Lob.«
    »Danke.«
    »Sonst noch was Neues?«
    »Nein – außer daß Mr. Urquhart an dem Abend, nachdem Sie ihn besucht hatten, noch lange nach Dienstschluß dageblieben ist und etwas auf der Maschine geschrieben hat.«
    Wimsey schlug mit der rechten Hand ein Arpeggio an und fragte:
    »Woher wissen Sie, wie lange er dageblieben ist und was er gemacht hat, wenn Sie alle fort waren?«
    »Sie haben gesagt, Sie möchten alles wissen, auch die unbedeutendste Kleinigkeit, wenn sie nur im mindesten ungewöhnlich sei. Ich hielt es für ungewöhnlich, daß er

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