Starkes Gift
daß er auch einmal irgendwo fehl am Platz war, hätte Miss Murchison nicht zu sagen vermocht.
Zu ihrer Erleichterung endete die religiöse Handlung mit diesem Lied, und die Gesellschaft ging unter viel Händeschütteln auseinander. Die Musiker leerten das Kondenswasser aus ihren Blasinstrumenten diskret ins Feuer, und die Dame am Harmonium deckte die Tasten zu und kam die Gäste begrüßen. Sie wurde einfach als Bella vorgestellt, und Miss Murchison schloß ganz richtig, daß sie Mr. Bill Rumms Frau und Esmeraldas Mutter war.
»Also, dann«, sagte Bill, »das Predigen und Singen ist eine trockene Angelegenheit – Sie trinken doch eine Tasse Tee oder Kaffee mit?«
Wimsey erklärte, daß sie eben erst Tee getrunken hätten, aber die Familie solle sich bitte nicht stören lassen.
»Es ist ja noch nicht Abendessenszeit«, sagte Mrs. Rumm.
»Wenn du erst mal das Geschäftliche mit der Dame und dem Herrn erledigst, Bill, nehmen sie vielleicht später mit uns einen Happen zu sich. Es gibt Eisbein«, fügte sie hoffnungsvoll hinzu.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, meinte Miss Murchison zögernd.
»Eisbein braucht eine Weile«, sagte Wimsey, »und da unsere Geschäfte auch einige Zeit in Anspruch nehmen, werden wir gern annehmen – wenn wir Ihnen auch bestimmt nicht zur Last fallen!«
»Ganz und gar nicht«, versicherte Mrs. Rumm herzlich.
»Wir haben acht schöne Eisbeine da, und mit ein bißchen Käse reichen sie allemal. Komm mit, Esmeralda – dein Vater hat zu tun.«
»Mr. Peter wird nachher singen«, sagte das Kind und fixierte Wimsey mit vorwurfsvollem Blick.
»Nun werde du Seiner Lordschaft nicht lästig«, schalt Mrs. Rumm. »Ich muß sagen, ich schäme mich für dich.«
»Ich singe nach dem Essen, Esmeralda«, sagte Wimsey.
»Und nun sei lieb und hau ab, sonst schneide ich dir Grimassen. Bill, ich bringe Ihnen eine neue Schülerin.«
»Ich bin immer glücklich, Ihnen dienen zu können, Sir, weil ich weiß, es ist das Werk des Herrn. Ehre sei Ihm.«
»Danke«, sagte Wimsey bescheiden. »Es ist eine leichte Aufgabe, Bill, aber da die junge Dame mit Schlössern und dergleichen keine Erfahrung hat, habe ich sie für eine Nachhilfestunde zu Ihnen gebracht. Sehen Sie, Miss Murchison, bevor unser Bill das Licht sah –«
»Lob sei Gott!« warf Bill dazwischen.
»– war er der beste Einbrecher und Safeknacker in den drei Königreichen. Er hat nichts dagegen, wenn ich Ihnen das erzähle, denn er hat seine Medizin geschluckt und Schluß gemacht mit allem, und jetzt ist er ein grundehrlicher und hervorragender Schlosser von der gewöhnlichen Art.«
»Dank sei Ihm, der den Sieg schenkt!«
»Aber ab und zu, wenn ich für eine gerechte Sache eine kleine Hilfe brauche, stellt Bill mir seine große Erfahrung zur Verfügung.«
»Oh, und was für ein Glücksgefühl das ist, Miss, diese Gaben, die ich so sündig mißbraucht habe, in die Dienste des Herrn zu stellen! Gesegnet sei Sein heiliger Name, der Böses zu Gutem wendet.«
»Ganz recht«, meinte Wimsey kopfnickend. »Also, Bill, ich habe mein Auge auf die Dokumentenkassette eines Anwalts geworfen, in der sich vielleicht etwas befindet, womit wir einen unschuldigen Menschen aus großen Schwierigkeiten befreien können. Diese junge Dame hier hat Zugang zu der Kassette, Bill, wenn Sie ihr zeigen können, wie sie hineinkommt.«
»Wenn?« knurrte Bill voll souveräner Verachtung. »Und ob ich kann! Eine Kassette ist doch gar nichts. Das ist keine Aufgabe für einen Könner. So leicht zu knacken wie das Sparschwein eines Kindes, so eine lumpige Kassette. In der ganzen Stadt gibt es keine Dokumentenkassette, die ich nicht mit verbundenen Augen und Boxhandschuhen mit einer gekochten Makkaroni öffnen könnte.«
»Das weiß ich, Bill; aber Sie sollen die Kassette ja nicht selbst öffnen. Könnten Sie der jungen Dame zeigen, wie man’s macht?«
»Klar kann ich. Was für’n Schloß ist denn da dran, Miss?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Miss Murchison. »Ein ganz gewöhnliches Schloß, glaube ich. Ich meine, es hat einen ganz gewöhnlichen Schlüssel, keinen Sicherheitsschlüssel oder so etwas. Mr. – ich meine, dieser Anwalt – hat einen Satz Schlüssel, und Mr. Pond hat einen zweiten – ganz einfache Schlüssel mit Stiel und Bart.«
»Oho!« rief Bill, »Dann wissen Sie in einer halben Stunde alles, was Sie brauchen, Miss.« Er ging zu einem Schrank und holte ein halbes Dutzend Schloßbleche und einen Bund merkwürdiger Drahthaken heraus,
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