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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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willkürlicher Striche und Punkte, stieß den Auslösehebel zurück, wirbelte die Walze herum, riß hastig die Blätter heraus, warf die Kohlepapiere in den Papierkorb, legte die Kopien zusammen, stieß sie lautstark mit allen vier Kanten auf den Tisch, um sie ordentlich übereinanderzuschichten, und eilte damit in Mr. Urquharts Büro.
    »Ich hatte noch keine Zeit, sie durchzulesen«, sagte sie.
    »Schon gut«, sagte Mr. Urquhart.
    Miss Murchison zog sich zurück und machte die Tür hinter sich zu. Sie packte ihre Sachen zusammen, nahm einen Handspiegel, um sich ungeniert die ziemlich große Nase zu pudern, stopfte allerlei Krimskrams in die schon überquellende Handtasche, legte ein paar Blatt Papier für den nächsten Tag unter der Staubhülle bereit, riß den Hut vom Haken und setzte ihn sich auf den Kopf und stopfte mit ungeduldigen Fingern die unbotmäßigen Haarsträhnen darunter.
    Mr. Urquhart läutete – zweimal.
    »Das auch noch!« sagte Miss Murchison und lief rot an.
    Sie riß sich den Hut wieder vom Kopf und folgte dem Ruf.
    »Miss Murchison«, sagte Mr. Urquhart deutlich ungehalten, »wissen Sie, daß Sie auf der ersten Seite einen ganzen Absatz vergessen haben?«
    Miss Murchison wurde noch röter.
    »Was? Das tut mir aber leid!«
    Mr. Urquhart hielt ein Schriftstück in die Höhe, das in seiner Größe jenem berühmten Dokument glich, von dem es hieß, es gebe nicht Wahrheit genug auf der Welt, um so eine lange eidesstattliche Erklärung zu füllen.
    »Das ist sehr ärgerlich«, sagte er. »Ausgerechnet die längste und wichtigste von den dreien, und sie wird gleich morgen früh dringend benötigt.«
    »Ich weiß nicht, wie mir so ein dummer Fehler passieren konnte«, schimpfte Miss Murchison. »Ich bleibe heute abend hier und schreibe es neu.«
    »Ich fürchte, es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben. Sehr unerfreulich, denn nun kann ich es nicht mehr selbst durchsehen, aber da ist nichts zu machen. Bitte passen Sie diesmal ganz genau auf, und sorgen Sie dafür, daß es morgen früh um zehn Uhr bei Hansons ist.«
    »Ja, Mr. Urquhart. Ich werde aufpassen wie ein Luchs. Es tut mir wirklich sehr leid. Und ich werde dafür sorgen, daß alles seine Richtigkeit hat, und es dann selbst zu Hansons bringen.«
    »Na schön«, sagte Mr. Urquhart. »Aber daß mir das ja nicht noch einmal passiert!«
    Miss Murchison nahm die Papiere und ging hinaus. Mit wütendem Gesicht riß sie die Staubhülle von der Schreibmaschine, zog die Schreibtischschubladen heraus, daß sie gegen die Anschläge knallten, schüttelte Originalblatt, Kohle- und Durchschlagpapiere zurecht wie ein Terrier eine Ratte und stürzte sich wie ein Ungewitter auf die Schreibmaschine.
    Mr. Pond, der eben seinen Schreibtisch abgeschlossen hatte und sich einen Seidenschal um den Hals legte, sah sie in mildem Erstaunen an.
    »Haben Sie heute abend noch etwas zu schreiben, Miss Murchison?«
    »Ich muß den ganzen Quatsch noch mal neu tippen«, sagte Miss Murchison. »Hab einen Absatz auf Seite eins ausgelassen – es mußte natürlich ausgerechnet Seite eins sein – und er sagt, das Zeug muß morgen früh um zehn bei Hansons sein.«
    Mr. Pond stöhnte leise auf und schüttelte den Kopf.
    »Diese Maschinen verführen zur Nachlässigkeit«, tadelte er sie. »Früher haben die Schreiber es sich zweimal überlegt, bevor sie solche dummen Fehler machten, denn das hieß, daß sie das ganze Dokument noch einmal mit der Hand abschreiben mußten.«
    »Bin ich froh, daß ich da noch nicht gelebt habe«, antwortete Miss Murchison kurz. »Da hätte man ja ebensogut als Galeerensklave arbeiten können.«
    »Und wir haben auch nicht um halb fünf Feierabend gemacht«, sagte Mr. Pond. »Damals wurde noch gearbeitet.«
    »Sie haben vielleicht länger gearbeitet«, sagte Miss Murchison, »aber geschafft haben Sie in dieser Zeit auch nicht mehr.«
    »Wir waren sauber und ordentlich«, betonte Mr. Pond, als Miss Murchison wütend zwei Typen entwirrte, die sich beim hastigen Schreiben ineinander verheddert hatten.
    Mr. Urquharts Tür ging auf, und die Erwiderung auf Miss Murchisons Lippen erstarb. Er sagte guten Abend und ging hinaus. Mr. Pond folgte ihm.
    »Ich nehme an, daß Sie fertig sind, bevor die Putzfrau geht, Miss Murchison«, sagte er. »Wenn nicht, vergessen Sie bitte nicht, das Licht zu löschen und die Schlüssel bei Mrs. Hodges im Erdgeschoß abzugeben.«
    »Ja, Mr. Pond. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht.«
    Seine Schritte hallten durch den Flur,

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