Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Töchter bemerkten auch flott, dass Amerika diesbezüglich ziemlich anders tickt als das heidnische Europa. Ich muss zu unserer Schande gestehen, dass wir die theologische Unterfütterung der Töchter sträflich vernachlässigt hatten. Wir wussten aber erst, was die Stunde geschlagen hatte, als die jüngere Tochter vor drei Jahren einigermaßen betreten vom Tanzunterricht zurückkehrte. Man muss wissen, dass wir in einer vorwiegend jüdischen Gegend wohnen. Schräg gegenüber von unserem Haus ist eine Synagoge, auch die stets voll wie alle Betstätten in Amerika. Es war die Übungsstunde vor Weihnachten, und die Ballettlehrerin erkundigte sich bei den Kleinen nach ihrer religiösen Orientierung, um ihnen entweder ein schönes Weihnachten oder aber ein Happy Hannukah zu wünschen. Also fragte sie: »Honey, are you Jewish?« Und die Tochter antwortete: »I don't know.« Die Lehrerin fragte noch mal: »So, you are a Christian?«, und die Tochter sprach abermals: »I don't know.« Daraufhin wünschte die Lehrerin allen Kindern politisch korrekt ein »Happy Holidays«.
Der Kleinen war ihre Ahnungslosigkeit sehr peinlich. Nicht annähernd so peinlich allerdings wie ihren Eltern, weshalb ich ein Machtwort sprach: »Wir müssen was tun. Sie muss schließlich wissen, was sie ist.«
Und also wurden gleich beide Töchter zum Konfirmationsunterricht angemeldet. »Wir machen das in einem Aufwasch, die Kleine wird getauft und zugleich konfirmiert. Zwei Konfirmationen, eine Taufe. Überaus praktisch«, sagte die Frau. Allein wegen des Besuches, Verwandte und Paten, die dann nicht zweimal über den Atlantik würden fliegen müssen. Das erschien uns allen logisch und sehr, sehr praktisch. Die Frau des Hauses ist überhaupt ein Organisationsgenie. Manchmal trägt sie ein blaues T-Shirt, auf dem in weißen Lettern »Heldin im Chaos« steht. Das charakterisiert unseren Haushalt recht treffend.
In der ersten Stunde des Konfirmationsunterrichtes in der deutschen Kirche in Manhattan fragte der Pfarrer die Kinder, warum sie konfirmiert werden wollten. Die meisten Kinder, gut gebrieft von ihren Eltern oder tatsächlich bibelfest, erzählten artig von Jesus und christlicher Neugier und Zugehörigkeit zur Gemeinde und einem Schritt Richtung Erwachsenwerden. Auch die ältere Tochter, obschon weniger gut gebrieft von ihren Eltern, kam unfallfrei durch diesen Frage-und-Antwort-Test. Als nun aber die Reihe an die jüngere Tochter kam, sprach die ehrlich: »Weil Mama sagt, wir machen das in einem Aufwasch. Taufe, zwei Konfirmationen. Das ist so praktisch.« Ihre Schwester schlug sich vor Scham die flache Hand gegen die Stirn, »Herr vergib ihr, denn sie wusste nicht, was sie sprach«.
Auch das war gewiss keine Sternstunde christlicher Erziehung, und abends meldete sich der Pfarrer am Telefon, lobte ausdrücklich die Offenherzigkeit der Kleinen und schlug vor, dass sie mit dem Konfirmationsunterricht vielleicht doch ein, zwei Jahre warten solle, um in dieser Zeit noch ein Stück religiöse Reife zu gewinnen. Er ruinierte damit zwar den sorgsam entwickelten Plan der Heldin im Chaos, aber man konnte ihn doch irgendwie verstehen, denn Gott und Religion sind ja eine ernste Angelegenheit, speziell in Amerika, wo Ernie Chambers, ein Staatssenator aus Omaha, Nebraska, sogar den Schöpfer verklagte wegen der vielen Hurrikane und Tornados in God's own country. Das Verfahren läuft noch, und bislang ist nicht klar, wie die Verteidigungsstrategie des Herrn aussieht.
Die vom Pastor verordnete Karenzzeit erlaubte uns immerhin, den Töchtern Religion im Allgemeinen und Religion in Amerika im Besonderen etwas näherzubringen. Das taten wir fortan nach Kräften. Ich erzählte den Töchtern von Father Grange von der St. Jerome's Church in der Bronx, der sein Leben den Ärmsten der Armen und speziell den illegalen Einwanderern verschrieben hat. Der Messen auf Englisch und Spanisch hält und von der Kanzel gegen den Krieg predigte, weil es wieder die Ärmsten erwischen würde, »Senatoren schicken ihre Söhne und Töchter nicht in den Irak«. Der sich mit dem Kardinal anlegte und ein unbequemer Gottesmann ist, immer auf der Seite der Geknechteten. Father Grange gehörte zu den beeindruckendsten Menschen, die ich je getroffen habe. Die Frau erzählte anschließend von der sozialen Funktion der Kirche und der »Church of the Holy Apostles« in Manhattan, die Obdachlose seit 25 Jahren mit warmen Mahlzeiten versorgt, mehr als eine Milhon bis heute. Die Töchter waren
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