Stars & Stripes und Streifenhörnchen
fasziniert.
Ganz besonders viel aber erfuhren die beiden auf unseren Reisen, wo man an Gott auch nie vorbeikommt und Verkehrsschilder wie »God allows U-Turns« an Bäumen pappen sieht. Denn 77 Prozent der Amerikaner bezeichnen sich als Christen, und mit 62 Prozent der Bevölkerung glauben mehr Bürger an den Leibhaftigen als an Darwin. Die Bürgermeisterin des Örtchens Inglis, Florida, ließ vor Jahren den Teufel sogar offiziell verbannen, indem sie Plakate aufstellte und kraft ihres Amtes erklärte, Inglis sei damit ein für allemal besenrein vom Bösen. Erst als sich das Fernsehen über die satanischen Verse lustig gemacht hatte, verschwanden die Plakate. Die US-Bundesstaaten Arizona, New Mexico und Colorado drängten erfolgreich auf die Umbenennung von »Highway 666« wegen der vermeintlich diabolischen Zahlenkombination aus dem Buch der Offenbarungen. Und: Gut die Hälfte der Gläubigen glaubt, dass Gott die Erde in sechs Tagen schuf und das Weltenende, Armageddon, unmittelbar bevorsteht. Diese wörtliche Auslegung der Bibel, der Kreationismus, erfreut sich außerordentlicher Popularität im evangelikalen Amerika und hat mit »Intelligent Design« sogar einen wissenschaftlich verbrämten Oberbegriff gefunden. Im Kern läuft alles auf einen Punkt hinaus: zurück in die Steinzeit.
Wovon unsere Kleinfamilie sich in Petersburg, Kentucky, überzeugen konnte, wo das größte »Creation Museum« des Landes errichtet wurde. Es ist ein gigantischer Bau von 5500 Quadratmetern mit 160 Mitarbeitern drin und allerlei beachtlichen Exponaten. Sie haben eine Menge Gummi-Dinosaurier dort, was das Interesse der Kinder an diesem Museumsbesuch zunächst sehr beflügelte. Zu ihrem Erstaunen war ein Dinosaurier, ein Triceratops, wie die ältere Tochter sofort erkannte, gesattelt wie ein Pferd, und eine freundliche Dame gesetzten Alters erklärte den europäischen Besuchern, dass Mensch und Dinosaurier früher vor 6000 Jahren, als Gott die Erde schuf, friedlich koexistierten und sich der Mensch den Dinosaurier Untertan machte wie eben auch Hund und Pferd. An das friedliche Miteinander von Mensch und Saurier mochte der europäische Besuch nicht zwangsläufig glauben, da der gesattelte Triceratops, der entfernt an ein Rhinozeros erinnerte, mit seinen Hörnern und Höckern kaum ausschaute, als habe er seine Erfüllung im Transport von Menschen gefunden, ein urzeitlicher Bus mithin. Reiten heutzutage Menschen auf Nashörnern? Die ältere Tochter, gestählt durch heidnischen Erdkunde-Unterricht, fragte die freundliche Dame, wie es möglich sei, dass Menschen auf Reptilien reiten konnten, die doch vor 65 Millionen Jahren nach einem Meteoriten-Einschlag ausgestorben seien. Und die Dame sagte: »Siehst du, das ist der Fehler. Vor 65 Millionen Jahren gab es die Erde noch nicht.« Die jüngere Tochter, sehr pragmatisch und im Wesen ihrer Mutter sehr ähnlich, wollte wenigstens wissen, ob es vor 6000 Jahren, als Gott die Erde schuf, denn schon englische Sattel gegeben habe wie jenen auf dem Triceratops. Und die freundliche Dame sagte: »Das musst du eher sinnbildlich begreifen.« Begriff sie aber nicht.
Viele Menschen waren in diesem Museum und fotografierten ihre Kinder vor dem gesattelten Saurier, aber man kann nicht behaupten, dass der Ausflug nach Kentucky die jüngere Tochter auf ihrem Weg zur christlichen Reife entscheidend nach vom gebracht hätte. Es war eher ein Schritt zurück in die Steinzeit. »Spinnen die?«, fragte sie im Auto, und die Frau des Hauses sagte zögerlich: »Nun ja: Ja«.
Auf diese Weise bekamen die Töchter zumindest ihren ersten Einblick in die Debatte um Darwin und Evolution; es ist eine große in Amerika. Die Debatte schaffte es sogar in den Wahlkampf, wo sich drei Republikaner zum Kreationismus und gegen Darwin bekannten. Nun ist im Wahlkampf eigentlich alles erlaubt, selbst das Leugnen wissenschaftlicher Erkenntnis. Im Wahlkampf überbieten sich die Kandidaten, Republikaner wie Demokraten an Gottesfürchtigkeit, und das tun sie derart erbittert, dass man an ihrer Nächstenliebe ernsthaft zweifeln muss. Wahlkampf ist eine Leistungsschau des Glaubens. Denn siehe, ins Weiße Haus schafft es nur, wer Amerika davon überzeugen kann, Gott an seiner Seite zu haben. Darüber wachen diverse evangelikale Organisationen, die einmal im Jahr zum »Value Summit«, dem Werte-Gipfel, nach Washington D.C. bitten, wo sie insbesondere die republikanischen Spitzenpolitiker auf Tauglichkeit abklopfen. Tauglich ist grob, wer
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