Starters
noch ein Mädchen.«
Ich hielt den Atem an.
Der Fahrer erklärte, dass er nicht länger warten könne. Die letzten Kids kletterten in den Transporter.
Dann sprang der Motor an. Die Vibrationen waren so stark, dass ich um ein Haar losgelassen hätte. Die Hitze trieb mir das Wasser aus allen Poren. Schweißrinnsale liefen mir über das Gesicht. Ich hatte mich immer für stark gehalten, aber das hier erforderte mehr Kraft, als ich geahnt hatte.
Der Transporter rollte los. Der Motorlärm, die Schaltgeräusche, das Wummern der Reifen – trotz des geringen Tempos hatte ich das Gefühl, dass mein Kopf in einem Fleischwolf steckte. Meine Knochen wurden durchgeschüttelt. Die Zähne knirschten. Ich hatte Angst, dass meine Wundnähte wieder aufplatzten.
Mit jeder Sekunde wuchs meine Sorge, dass ich es nicht durch das Haupttor schaffen würde. Was hatten wir uns bloß gedacht? Wer war nur auf diesen wahnsinnigen Plan gekommen? Und aus irgendeinem Grund hatten sie nun den dicken Schrank ausgewechselt. Meine einzige Hoffnung bestand darin, dass sie den Transporter unkontrolliert durchlassen würden.
Wir näherten uns dem Tor. Ich konnte aus meiner Froschperspektive den Sockel des kleinen Glaskäfigs sehen, in dem die Wachtposten Dienst taten. Der Transporter wurde langsamer. Ich versuchte ihn mit reiner Willenskraft zum Weiterfahren zu zwingen. Doch er kroch dahin. Quietschend glitten die Tore zur Seite, öffneten sich für uns. Meine Arme schmerzten, aber ich musste nur noch kurz durchhalten. Für Tyler.
Dann bremste der Transporter scharf ab und kam zum Stehen. Ich umklammerte die Strebe noch fester und hielt den Atem an.
Schritte näherten sich dem Fahrzeug. Dann rannte jemand in eine andere Richtung. Ein Murmeln, das sich zu Geschrei steigerte.
»Haltet dieses Mädchen auf!« Eine weibliche Stimme. Mrs. Beatty.
Ich presste meinen Körper so dicht wie möglich an den Unterboden des Fahrzeugs.
»So schießt doch endlich!« Das war eine Männerstimme.
Ein trockenes Knistern und der Geruch nach Elektrizität erfüllten die Luft.
Ein Taser.
Aber der Schmerzensschrei, der diesem Knistern stets folgte, blieb diesmal aus. Stille machte sich breit.
»Du hast sie verfehlt.« Wieder die Männerstimme.
Sie konnten auf keinen Fall mich meinen. Ich hatte den Lichtbogen nicht einmal gesehen.
Dann schrien und rannten alle durcheinander. Der Transporter rollte wieder an. Ich biss die Zähne zusammen und hielt mich fest. Wir fuhren durch das Tor, am Tor vorbei, ließen es hinter uns!
Alles ging viel zu schnell, vermutlich, um die verlorene Zeit aufzuholen. Der Fahrer schwenkte vom Gelände des Waisenhauses in eine Seitenstraße ein. Die Kurve war zu scharf für meine müden Arme. Meine Muskeln gaben nach.
Ich stürzte und prallte mit dem Rücken hart auf das Pflaster, obwohl der Abstand zum Boden kaum einen Meter betrug. Ich zog blitzschnell Arme und Beine an den Körper und lag steif wie ein Brett da, während der Transporter über mich hinwegdonnerte. Die mächtigen Reifen dröhnten so dicht an meinem Kopf vorbei, dass mein Haar im Fahrtwind flatterte. Im nächsten Moment umgab mich helles Sonnenlicht. Ich rollte zum Randstein, versteckte mich hinter einem Baum und sah zurück zu der grauen Barriere, die den Waisenhauskomplex umgab.
Oben auf der Mauer hob sich eine Gestalt gegen den blauen Himmel und die Schäfchenwolken ab. Ein Mädchen, das im Stacheldraht hing, die Arme über das Hindernis gereckt.
Sara.
Der Kopf eines Wachtpostens erschien auf der anderen Seite der Barriere. Allem Anschein nach erklomm er die gleiche Leiter, die sie benutzt hatte, um die Mauerkrone zu erreichen.
Sara blickte zu mir herunter. Als sie sah, dass ich es geschafft hatte, das Gelände zu verlassen, ballte sie die rechte Hand zur Faust und presste sie an ihr Herz.
Sie hatte keinen Fluchtversuch unternommen. Sie hatte für eine Ablenkung gesorgt. Um mich zu schützen.
Ich ahmte ihre Geste nach und presste die rechte Faust gegen mein Herz.
Halte durch, Sara!
Ihr blau geschlagenes Gesicht war erschöpft und schmerzverzerrt, aber ein glückliches Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Es war so ansteckend, dass sich auch meine Miene ein wenig aufhellte. Sie versuchte mir Mut zu machen.
Nun stemmte sie einen Fuß gegen den Stacheldraht, zog sich hoch und versuchte auf die andere Seite zu gelangen. Nein! Was wollte sie dort? Sie konnte auf der Mauerkrone entlang laufen, aber unmöglich entkommen.
Der nur wenige Meter von ihr entfernte
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