Starters
Bruder verloren.«
»Was?« Verwirrung lag in ihrem Gesicht.
Sie hatte noch nicht verarbeitet, dass Prime sie auf keinen Fall an meiner Stelle nehmen würde, und nun erfuhr sie ganz nebenbei, dass ich sterben würde, wenn sie mich der Heimleitung meldete.
»Ich weiß nicht, was du meinst, aber du fürchtest dich doch sonst vor nichts«, sagte sie. »Das habe ich genau gemerkt. Warum fürchtest du dich so sehr vor Prime?«
»Weil ich herausgefunden habe, dass sie die Menschen töten. Starters. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, es ist ungefähr so, als würden sie Körper und Gehirn trennen und dann das Gehirn für alle Zeiten stilllegen.«
Sie bemühte sich, meine Worte zu begreifen. Ich starrte mit angehaltenem Atem zur Tür, überlegte, wie lange ich brauchen würde, um aus dem Container zu springen und zu fliehen, und wie lange es dauern würde, bis sie mit ihrem Geschrei die Verfolger auf den Plan gerufen hatte.
»Also, das klingt schlimm«, sagte sie schließlich.
Langsam ließ sie meine Arme los. Ich atmete erleichtert aus.
Da meine Gefängnisuniform sofort auffallen würde, half mir Sara beim Zusammenstellen einer Verkleidung. Sie erklärte mir, dass die einzigen Beschäftigten auf dem Gelände außer den Minderjährigen selbst die Gärtner waren. Diese Ender hatten die Aufgabe, den Eingangs- und Verwaltungsbereich gefällig zu gestalten, um Besuchern eine freundliche Fassade zu bieten. Damit man sie schon von Weitem von den Insassen unterscheiden konnte, trugen sie schwarze Hemden und Hosen sowie breitkrempige Hüte, die sie gegen die Sonne schützten. Wie geschaffen für eine Verkleidung. Sara suchte die Sachen aus den sauberen Wäschestapeln für mich zusammen.
Außerdem band sie mir das Haar so straff zusammen, dass nicht eine Strähne unter dem Hut hervorblitzte.
»Vielleicht sollten wir dir noch ein paar Runzeln aufmalen«, meinte sie, als sie mich betrachtete.
»Ich halte es für besser, wenn wir möglichst rasch von hier verschwinden.«
»Du kannst nicht ohne Schuhe losgehen.« Sie deutete auf meine bloßen Füße.
Meine grauen Tennisschuhe, die zur Gefängniskleidung gehörten, hätten mich sofort verraten. Ich schob sie mit den Zehenspitzen unter einen Berg von Wäsche, während Sara nach einem Paar frisch gereinigter, schwarzer Stoff-Slipper suchte.
Nach einer Weile kam sie wieder. »Es gibt nur dieses eine Paar.«
Ich schlüpfte erst in einen, dann in den anderen Schuh. Sie waren mindestens zwei Nummern zu groß. »Perfekt«, sagte ich. »Gehen wir!«
Ich fand ein paar Gummibänder, die ich über die Slipper streifte, um sie unterwegs nicht zu verlieren. Wir waren zu dem Schluss gelangt, dass mich nur eine schnelle Flucht retten konnte. In einem Versteck auszuharren, war keine gute Lösung, da zu befürchten war, dass der Old Man das ganze Gelände auf den Kopf stellen ließ, um mich aufzustöbern. Das war er wohl seinem Ruf schuldig. Seine Macht konnte ins Wanken geraten, wenn sich ein rechtloses Waisenmädchen seinen Befehlen widersetzte.
Sara hatte gehört, dass sich im Vorjahr ein Starter an die Unterseite eines Lieferwagens geklammert hatte und so entkommen war. Seitdem gehörte es zu den Pflichten der Wachtposten, die Fahrzeuge zu kontrollieren, die das Gelände verließen. Davon ausgenommen waren nur die Transportmittel hochgestellter Besucher. Wir schätzten, dass der Old Man als so immens wichtig galt, dass man es nicht im Traum wagen würde, den Transport aufzuhalten. Die Zusammenarbeit des Waisenhauses mit seinem Unternehmen ließ außerdem darauf schließen, dass hier Bestechungsgeld im Spiel war.
Dennoch war es riskant.
»Bist du sicher, dass dieser Starter entkam?«, fragte ich. »Und dass er unverletzt blieb?«
»Das weiß ich nicht«, entgegnete Sara. »Ich habe nur gehört, dass er ihnen entwischt ist.«
»Mit anderen Worten – du hast nie was von ihm gehört. Aber das heißt noch nichts.«
»Pass auf, da ist noch etwas. Dieser dicke Wächter, den alle nur den Schrank nennen, kann sich nicht richtig bücken, um unter die Fahrzeuge zu blicken.«
»Ja und?«
»Er hat heute Dienst.«
Das überzeugte mich. Zum einen würden sich die Sicherheitsleute hüten, die Abreise des Transporters zu verzögern, zum anderen konnte ich auf die Unbeweglichkeit des dicken Wächters zählen.
Ich war kräftig und leicht. Ich musste mich nur lange genug an die Unterseite des Transporters hängen, bis ich das Tor hinter mir gelassen hatte. Dann konnte ich loslassen,
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