Starters
Handlauf fest und erklomm die Stufen.
Auf halber Höhe wandte ich mich nach links. Ich kam an einer Reihe von Porträts vorbei, die alle dieselbe Frau zeigten – zweifellos Mrs. Winterhill in verschiedenen Lebensabschnitten. Sie war stets wunderschön, mit hohen Wangenknochen, einer kräftigen Nase und einer energischen Kinnlinie. Ihre Augen folgten mir.
Ich erreichte die von Wandleuchtern nur schwach erhellte Diele im ersten Stock und betrat den Gang zu meiner Rechten. Mehrere Türen befanden sich zu beiden Seiten des Korridors, und alle waren geschlossen. Lebten hier noch mehr Leute außer meiner Mieterin? Es blieb mir nichts übrig, als mir Klarheit zu verschaffen.
Ich öffnete die erste Tür zur Rechten und fuhr mit der Hand an der Stelle auf und ab, wo ich das Schaltfeld vermutete. Ein Sensor erfasste die Bewegung, und die Lichter flammten auf.
Aus der neutralen Einrichtung und dem Fehlen persönlicher Gegenstände schloss ich, dass es sich um ein Gästezimmer handelte. Ich machte das Licht aus. Hinter der nächsten Tür verbarg sich ein Nähzimmer. Dann kam ein Jugendzimmer. Ich konnte nicht sagen, ob es sich um Mrs. Winterhills Traumreich handelte – so wie Madison sich ihren »Teen«-Wagen gönnte – oder ob der Raum tatsächlich für ein junges Mädchen bestimmt war. Aber ich fühlte mich erleichtert, dass er im Moment leer war.
Ich machte auf der anderen Seite des Korridors weiter. Die erste Tür war versperrt. Aber hinter der zweiten fand ich, was ich gesucht hatte – Mrs. Winterhills Schlafzimmer. Es war gigantisch. Mitten im Raum stand ein Himmelbett aus Ebenholz. Die verdrillten Pfosten endeten jeweils in einer Klaue, die eine Kugel hielt. Über dem Bett spannte sich ein in Falten gelegter und in der Mitte geraffter Baldachin. Die grüngolden gestreifte Tagesdecke war an den Ecken reichlich mit Quasten verziert. Und am Kopfende des Lagers türmte sich ein Berg von Kissen.
Das Beste an dem Bett war jedoch, dass keine Mrs. Winterhill darin schlief.
So einladend es auch aussah, ich wandte meine Aufmerksamkeit erst einmal der Sitzecke links davon zu, die mit einer Chaiselongue und einem kleinen antiken Schreibtisch ausgestattet war. Auf der Arbeitsfläche stand ein flaches, mit Intarsien geschmücktes Holzkästchen.
Ich trat näher und öffnete das Kästchen. Ein Computer.
Mit ein paar schnellen Schritten war ich an der Tür und verriegelte sie. Dann lief ich zurück zum Computer, setzte mich auf den Stuhl und streifte die hochhackigen Schuhe ab. Ich entdeckte ein gelbes Licht auf dem Bedienfeld und strich mit der Hand darüber. Ein Airscreen erschien in Augenhöhe.
Falls es in Beverly Hills einen Stromausfall gegeben hatte, würde das vielleicht erklären, weshalb ich den Kontakt zu meiner Mieterin verloren hatte. Ich durchsuchte die Pages.
Nichts. Auch die weiteren Nachrichten brachten keine Neuigkeiten. Schließlich suchte ich nach Mom und Dad, in der Hoffnung, dass es noch immer Bilder von ihnen im Netz gab. Eines fand ich, das sie auf einer Party zeigte. Ich starrte es an, sog jedes Detail ihrer Gesichter auf.
Stattdessen merkte ich, wie ich tiefer in den Schreibtischstuhl rutschte und meine Lider schwer wurden. Es war zwei Uhr morgens.
Neben dem Computer stand ein Holo-Frame mit einem Foto von Mrs. Winterhill. Helena Winterhill , wie darunter stand. Die Ähnlichkeit mit den Gemälden im Gang war unverkennbar, aber es handelte sich um eine offensichtlich erst vor Kurzem entstandene Aufnahme. Die Ender schien um die hundert zu sein, hatte jedoch immer noch eine blendende Figur. Eine Aura von Eleganz und Stärke umgab sie.
»Helena Winterhill, wo sind Sie?«
Sie lächelte mich stumm an.
Ich stand auf, schlüpfte aus dem Designerkleid und kroch ins Bett. Tyler und Michael schliefen sicher längst tief und fest in ihren kleinen Büromöbelfestungen.
Als ich am Morgen erwachte, wölbte sich ein goldener Baldachin über mir. Unter mir wisperte glatte Seidenbettwäsche. Mein Kopf schwebte auf dem weichsten Kissen der Welt, und der zarte Duft von Zedernholz und Geißblatt schuf ein herrliches Wohlgefühl. Ich war definitiv im Reich der Prinzessinnen angekommen.
Dann setzte ich mich auf und zwang mich zum Handeln. Ich kletterte aus dem Bett und schnappte mir Helenas Handy. Kein Anruf von Prime. War es zu optimistisch, dass ich immer noch hoffte, meinen Job irgendwie retten zu können?
Es war neun Uhr vormittags. Michael würde sich jetzt auf den Weg machen und Waschwasser für Tyler
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