Startschuss
gekommen.
»Gültig«, rief Lennart. »Immerhin.«
»Ja«, brummte Ilka. »Aber sieh dir mal das Ergebnis an.«
3 Meter 51, zeigte die Anzeigetafel.
»O Gott!«, entfuhr es Lennart.
Michael stand noch immer in der Grube und wäre am liebsten im Sand versunken. So einen peinlichen Sprung hatte er noch nie
abgeliefert.
»Warum hat er den nicht lieber ungültig gemacht?«, fragte sich Ilka.
Das war durchaus eine übliche Methode. Bemerkten die Springer, dass der Anlauf nicht passte, traten sie einfach über oder
liefen durch, ohne zu springen. In der Statistik erschien dann ein Ungültig. Das war allemal angenehmer als ein peinliches
Ergebnis. Michael aber hatte diese Möglichkeit verpasst und so tauchte in seiner Sprungstatistik statt eines weiteren Ungültig3 Meter 51 auf.
Toms zweiter Versuch hatte bei4 Meter 65 gelegen. Entsprechend gut gelaunt kam er auf Michael zu.
»Da springe ich ja mit gefesselten Füßen noch weiter«, lachte er.
»Noch so einen Spruch, dann wirst du es auch tun müssen«, gab Michael zurück. Und stampfte wütend aus der Sprunggrube heraus.
Denn das Schlimmste war: Es stimmte, was Tom sagte.
Seine Freunde empfingen ihn mit betretenen Gesichtern. Natürlich wussten sie, weshalb er diesen Sprung verpatzt hatte. Nur
nützte das Michael herzlich wenig. Jetzt hatte er nur noch einen einzigen Versuch. Wenn der nicht saß, dann . . .
»Den letzten Versuch wird er wieder nicht mit vollem Tempo anlaufen«, flüsterte Ilka Linh ins Ohr. »Er hat viel zu viel Angst,
überzutreten und seinen letzten Versuch ungültig zu springen.«
Linh teilte Ilkas Sorge. Auch sie schätzte Michael nicht gerade als sehr nervenstark ein. Aber was konnten sie tun?
Die anderen Zehnkämpfer sprangen ebenfalls recht passable Weiten. Keiner so gut wie Tom, aber alle deutlich über vier Meter.
Michael stand weit abgeschlagen auf dem letzten Platz.
Diesmal zog sich Michael seinen Trainingsanzug gar nicht erst über. Kein zweites Mal wollte er sich derart verspäten. Aufgeregt
wie ein Tiger im Käfig ging er auf und ab. Wenigstens ließ sein Magen ihn in Ruhe.
»Nervös?«, fragte Tom und setzte sich demonstrativ direkt vor Michael auf den Boden. Doch zum Glück wurde Tom gleich wieder
aufgerufen. Sein dritter Versuch. Betont lässig erhob er sich, lockerte seine Beine, hüpfte ein paarmal. Er hatte nichts mehr
zu verlieren. Niemand hatte auch nur annäherend seine Weite erreicht.
Tom konzentrierte sich kurz, spurtete dann los, nahm ungeheures Tempo auf, sprang ab, traf das Brett optimal, ruderte in der
Luft mit den Armen, warf kurz vor der Landung noch einmal energisch die Beine nach vorn und landete ebenso perfekt. Ein grandioser
Sprung. Und sehr weit.
Michael verzog das Gesicht.
Die Anzeigetafel zeigte 4 Meter 69.
Die 8000 Zuschauer jubelten. Tom riss freudig die Arme hoch, hüpfte glücklich aus dem Sand heraus und rief Michael über die Schulter
zu: »Und jetzt bist du dran.«
Michael zitterten die Knie. Vor Wut, vor Aufregung, vor Angst, zu versagen. Er schlich förmlich zu seiner Ablaufmarke.
»Locker bleiben«, rief Lennart ihm zu, obwohl er wusste, in dieser Situation war es schlicht unmöglich.
»Du schaffst es«, feuerte Ilka ihn an.
Tom lachte. »Das glaubt ihr doch selbst nicht!«
Linh lief zu Michael.
»Was willst du?«, fragte er nervös. »Lass mich. Ich muss mich konzentrieren!«
Linh ließ sich nicht abhalten, kam ganz dicht an Michael heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Denk dran: Wer andere bezwingt,
ist stark; wer sich selbst bezwingt, ist unbezwingbar.«
Michael sah Linh mit großen Augen an. Sie lächelte, nahm seine Hand und drückte sie fest.
»Tom ist nicht dein Gegner, nur du selbst«, sagte sie ihm. »Und mit dir wirst du ja wohl noch fertig, oder?« Sie ließ Michaels
Hand los, zwinkerte ihm kurz zu, trat zurück und ließ ihn allein.
»Na, was hattest du denn mit dem Versager zu flüstern?«, lästerte Tom.
Linh ging auf Tom zu, wie sie eben noch auf Michael zugegangen war, und hauchte ihm ins Ohr: »Ich habe ihn verzaubert. Also
nicht wundern!«
»Hä?«, fragte Tom.
Michael bekam es mit und musste lachen. Linh und ihre Sinnsprüche, dachte er. Tom wird sie nie verstehen.
Dann konzentrierte er sich auf seinen Sprung.Fixierte mit seinem Blick das Absprungbrett und ließ sich Linhs Spruch durch den Kopf gehen: Wer sich selbst bezwingt, ist
unbezwingbar!
Er konnte es schaffen. Das wusste er.
Er musste es
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