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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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und der Teppichboden schonte die Gelenke. Die Gäste waren überwiegend kultiviert und häufig großzügig. Es gab interessante Persönlichkeiten darunter, hin und wieder einen Promi, und das Publikum war international. Ich war glücklich und fühlte mich ziemlich großartig. Denn zwischen den Servicekräften gab es eine unausgesprochene, aber fühlbare Hierarchie. Alles, was harte Arbeit bedeutete und ich im Bankettsaal ausführlich erlebt hatte, erntete paradoxerweise weniger Anerkennung als das leichtfüßige Bedienen in den Bars mit ein paar Cocktails auf dem Tablett.
    Ein zusätzlicher Glücksfall war die Tatsache, dass Gerry auch seit geraumer Zeit hier arbeitete. Während ich zu den älteren Barmännern eine respektvolle Distanz behielt, entwickelte sich zwischen uns eine herzliche Kollegialität, die immer mehr zur Freundschaft wurde.
    Die Kristallbar war für jedermann zugänglich, der bereit war, für ein Glas Sekt 11 Mark, für eine Flasche Bier 5,50 Mark und für einen Campari mit Orangensaft 14,40 Mark hinzulegen. Da musste der Durchschnitts-DDR-Bürger schon genau kalkulieren, wie oft er sich diesen Luxus bei einemdurchschnittlichen Einkommen von monatlich 600 Mark leisten konnte.
    Dafür saßen die Gäste dann auf schweren rotbraunen Ledersesseln an Tischen aus dunklem Holz, die den vieleckigen Grundriss des Hotels widerspiegelten. Die eingelegte Messingtischplatte war verziert mit einem Prägemuster aus kleinen ineinander verlaufenden Kreisen. Betrat man die Bar, lag zur Rechten der Tresen, um den zehn Sessel standen. In der Mitte des Tresens thronten auf Glasregalen in mehreren Reihen übereinander die Flaschen mit den diversen Flüssigkeiten unterschiedlichen Geschmacks und Alkoholgehalts, bereit, sich in farbige und klebrige Cocktails verwandeln zu lassen.
    Wieder war ich stark beeindruckt von der prächtigen Ausstattung. Doch wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Und wenn der warm ist, leben dort gern die Kakerlaken. Einige von ihnen wollten sich allerdings nicht mit einem Dasein hinter den Kühlschränken begnügen, sondern spazierten zu unserem Entsetzen bis auf den Tresen, auf dem sie dank gleicher Färbung zunächst etwas getarnt waren.
    Dann galt es, schnell und unauffällig zu handeln. Um die Biester zur Strecke zu bringen, bot es sich an, eine Bierflasche mit Nachdruck auf ihnen abzustellen. Da der Tresen aus dunklem Holz, das Kerbtier selbst und die Bierflasche dunkelbraun waren, ging alles eine ziemlich unsichtbare Melange ein. Der Gast, der am Tresen saß und dem die Flasche inzwischen gehörte, durfte nun auf keinen Fall in die Lage kommen, sich selbst nachzuschenken.
    Alle paar Jahre erschienen im Hotel die Kammerjäger, die uns für ein paar Monate Ruhe verschafften. Doch dann liefen sie alle wieder wie gewohnt.
    Jahre später führte mich eine Reise zum 45. Breitengrad auch in das Waldorf Astoria, wo ich schockiert eine großeVerwandte der mir vertrauten Kerbtiere über den edlen Teppich rennen sah. Nur in New York ist alles noch viel größer.
    * * *
    Ein Jahr mit regelmäßigen Grüßen ist vergangen. Ein Wunder oder einfach der Zufall hat es bewirkt, dass ich stets zuerst am Briefkasten bin, wenn die Karte kommt. Dabei gibt es durchaus Tage, an denen es kritisch ist. Einmal in der Woche komme ich mit Mike gemeinsam nach Hause, wenn er mich vom Englischkurs abholt.
    Wie ein Gauner lege ich mir dann schon während der Fahrt den Briefkastenschlüssel griffbereit in die Handtasche, um nach der Einfahrt auf dem Grundstück sofort zum Kasten zu eilen, während Mike aussteigt, die Sachen aus dem Auto nimmt und sich in Richtung Eingangstür bewegt. Ich lasse dann zügig die gesamte Post in meine Handtasche fallen, klappe den Kasten zu und schließe die Toreinfahrt. Auf den wenigen Metern bis zum Hauseingang verschaffe ich mir schnell einen Überblick über die Post und kann die mir zugedachten DDR-Fahnen zurückhalten.
    Auch die Samstage sind risikoreich, denn Mike geht als Erster vor die Tür, um frische Brötchen zu holen. Bevor er sich ins Auto setzt, wirft er regelmäßig einen Blick in den Briefkasten. Steht die Monatskarte noch aus, muss ich mir etwas einfallen lassen, um ihm zuvorzukommen. Eine Möglichkeit ist der Mülleimer, mit dem ich unverdächtig zur Tonne schlendern kann, um dabei zufällig am Briefkasten vorbeizukommen.
    Tatsächlich ist diese klägliche Finte nicht ein einziges Mal nötig gewesen. Aber es ist kein rechtes Glück, immer wieder um ein Geständnis

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