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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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einräumte. Es verging kein Tag an der Bar ohne ihn.
    Seine rechte Hand war Mille, ein schnauzbärtiger Berliner und Kettenraucher. Kam jemand, der sich nach Zoran erkundigte, konnte Mille Auskunft geben. Neben dieser Kernzelle lief noch eine Menge Personal herum, das ab und an einen Deal für sich klarmachen wollte und sich zu „Geschäftsbesprechungen“ in der Bar einfand. Zu diesem dubiosen Kreis zählte auch Paul, der mich schon wegen seiner auffallenden Erscheinung zunehmend interessierte.
    Jedes Mal, wenn er erschien und unkalkulierbar schnell wieder fort war, malte meine Fantasie ein zunehmend strahlendes Bild von ihm. So wurde er zum umherziehenden, verwegenen Vagabunden oder zum einsamen Wolf, der ruhelos durch die Wälder streift. Freiheitsliebend, immer auf der Suche nach der nächsten Herausforderung.
    Wie recht ich hatte.
    Als ich noch darüber nachdachte, wie ich ihm trotz und gerade des von mir angedichteten Images näherkommen könnte, begegneten wir uns an einem meiner freien Abendein einer Diskothek. Ich war hocherfreut, ihn dort zu sehen, und steuerte spontan auf ihn zu. Paul wirkte leicht nervös, sah sich kurz um, musterte mich dann aber recht ausführlich mit dem überlegenen Lächeln eines Jägers, der seiner nächsten Beute gegenübersteht. Er eröffnete das Gespräch mit dem originellen Satz: „Hallo, kennen wir uns nicht, ach ja, aus der Kristallbar“, und: „Du siehst ganz anders aus in Zivil“, und (logisch): „Viel besser“. Ich war begeistert und wäre es wohl auch gewesen, wenn er noch größeren Blödsinn erzählt hätte, als er anscheinend ohne das Bedürfnis, die Dinge kompliziert werden zu lassen, zur Sache kam: „Ich lasse mich morgen mal sehen“, grinste und entschwand. Ich war perplex und ungläubig, ob ich das eben wirklich erlebt hatte. Überaus gespannt erwartete ich den kommenden Tag.
    Der Arbeitstag schlich vor sich hin und ich musste mich wegen meiner unruhigen Erwartungshaltung zusammenreißen, die Gäste nicht als zunehmende Belästigung anzusehen. Erst am frühen Nachmittag, als sich meine Schicht allmählich ihrem Ende näherte, erschien Paul wie immer fröhlich und hektisch, sagte ein kurzes „Hallo“ zu seinen Bekannten, die auch heute wieder ihr „Tresenbüro“ betrieben, und nahm ganz gegen seine Gewohnheit an einem der Tische Platz. Ich brachte ihm seine Bestellung und mehr oder weniger verlegen (ich mehr – er weniger) brachten wir eine Verabredung zustande.
    Unser erstes Treffen war weder ein Abenteuer noch romantisch. Meine Unerfahrenheit war der Hektik seines Überfalls nicht gewachsen. Der von mir sehnsuchtsvoll erwartete Paul befriedigte seine Bedürfnisse im Eilzugtempo und es war ihm offenbar völlig schnuppe, wie die Sache für mich lief. Das Einzige, was ihn ernsthaft beschäftigte, war die Tatsache, dass er Männerstrumpfhosen trug und ich annehmen könnte, er hätte seltsame Neigungen. Das Kleidungsstück erklärte erdann mit dem Umstand, dass er bei der gerade herrschenden Kälte aufs Land gefahren war, um sich ein Grundstück anzusehen, das er vielleicht kaufen würde. Überhaupt schien das ein Thema zu sein, das ihn sehr beschäftigte und im Augenblick seine Energie bündelte. Ich erlebte ihn ein seltenes Mal konzentriert und nachdenklich.
    Natürlich gab ich nach dem verpatzten ersten Akt nicht auf. Im Gegenteil, nun hatte ich eine Aufgabe, auf die ich mich stürzen konnte. Alles wollte ich so gestalten, dass es ihm bei mir gefiel und er so oft wie möglich in meiner Nähe sein würde. Und natürlich war ich davon überzeugt, ihn ganz allmählich umkrempeln und nach meinen Wünschen erziehen zu können.
    Doch Paul kam und ging weiterhin, wie und wann er wollte, und hielt mich mit diesem unsteten Verhalten ständig in Atem. Ich traute mich oftmals nicht, aus dem Haus zu gehen, um nicht sein Kommen zu verpassen. Nach dem Spätdienst im Spreehotel stieg die Anspannung in mir immer höher, ob wohl sein Auto vor meinem Wohnhaus stünde. Schon bald hatte ich ihm meine Schlüssel gegeben, um bloß kein Hindernis zu übersehen. Paul lebte sein Leben, wie es so für die DDR-Bürger von der Obrigkeit eher nicht vorgesehen war. Offiziell arbeitete er als Angestellter in dem Familienbetrieb seines besten Kumpels, der einer der immer weniger werdenden Selbstständigen im Lande war. Doch in der Tat bezahlte Paul einen Obolus für diese Gefälligkeit, die ihn dafür freistellte, seinen Geschäften und der Pflege seiner vielfältigen Kontakte bei

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