STASIRATTE
Wohnungstür. Ich sprang auf und ging ihm entgegen. Paul rauschte herein und küsste mich flüchtig auf die Wange. „Du glaubst nicht, was mir heute passiert ist“, platzte ich heraus.
„Aha?“, er war ganz Ohr.
„Dann erzähl mal“, sagte er, während wir uns in die Küche an den kleinen Tisch am Fenster setzten. Ich holte tief Luft, setzte eine wichtige Miene auf und berichtete von meinem Erlebnis.
„Ich bin heute angesprochen worden“, legte ich los und machte an dieser Stelle eine bedeutungsvolle Pause. Scheinbar hatte ich den richtigen Gesichtsausdruck getroffen, denn nach nur einem kurzen fragenden Stirnrunzeln war Paul im Bilde: „Echt, im Hotel?“
„Ja, ich war dann bei einem von denen auf dem Zimmer, die sitzen in der vierten Etage“, fuhr ich hastig fort. Paul trank einen Schluck Bier, das er sich zuvor aus dem Kühlschrank genommen hatte, und sah mich ernst an. „Okay, der Reihe nach“, sagte er.
Ich berichtete so genau wie möglich, wie sich meine Begegnung mit dem Hauptmann der Staatssicherheit abgespielt hatte. Ab und an fragte Paul etwas nach, ruhig und konzentriert. Als ich mit meinem Bericht fertig war, nahm ich mir auch ein Bier. Meine Aufgeregtheit legte sich langsam.
„Und der hat dir seine Klappkarte vor die Nase gehalten?“, Paul staunte erkennbar. Das machte mich stolz. „Ja“. „Und dann hat er dir was vom Drogenhandel in der Kristallbar erzählt?“
„Nein, nicht nur in der Kristallbar. Eher so im Allgemeinen, aber es könnte auch bei uns in der Bar passieren. Ich soll eben die Augen offen halten.“
Paul sah nicht gerade begeistert aus, eher abwägend.
Ich war wichtig für diese Leute, war das gut? Konnten wir beide das gebrauchen? Soll ich es machen … für uns? Das waren die Fragen, die mich jetzt bewegten. Fest stand, dass ich zusagen würde, sollte Paul mich darum bitten. Oder, falls dies sein Stolz nicht zuließ, zumindest andeuten würde, dass er es für hilfreich hielt. Wir wussten beide, dass es Gelegenheiten gibt, in denen so eine Hilfe nützlich werden könnte.
Die Geschichte mit der Fahrerflucht war erst ein paar Monate her. Man hatte ihm nach diesem Delikt für ein Jahr den Führerschein und ein paar hundert Mark abgenommen. Esgab allerdings Stimmen, die meinten, damit wäre er glimpflich davongekommen.
Das Ganze hatte sich abends auf einer Landstraße ereignet. Paul hatte ein paar Bier getrunken und somit die Null-Promille-Grenze überschritten. Nach einigen Kilometern sah er einen Polizisten mit ausgestrecktem schwarz-weißen Stab auf die Straße treten. Zuerst fuhr er langsamer und deutete an zu Halten, um dann aber Vollgas zu geben und knapp an dem Posten vorbeizurasen.
Bis die Streife sich in ihren Wartburg geworfen hatte und ebenfalls losgerast war, hatte er schon einen ordentlichen Vorsprung herausgefahren. Schließlich schaffte er es, die Polizisten abzuschütteln, und erschien dann völlig aufgelöst bei mir im Hotel. Die Kristallbar war voller Gäste und ich hatte alle Hände voll zu tun. Paul brachte mich mit seiner Geschichte völlig durcheinander und die nächsten Arbeitsstunden wurden eine Quälerei. Ich konnte es nicht fassen, was er angerichtet hatte. Während ich schlampigen Service bot, zermarterte ich mir das Hirn, wie ihm noch zu helfen wäre.
Wir brauchten auf die Konsequenzen nicht lange zu war-ten. Die Polizei erschien am nächsten Tag vor unserer Haustür und nahm Paul den Führerschein ab. Man hatte ihn anhand des Kennzeichens schnell ermittelt und übergab ihm eine Vorladung zur Vernehmung im Polizeirevier.
Da er es nun nicht mehr selbst durfte, fuhr ich Paul zu diesem Termin. Inzwischen hatte sogar in der Lokalzeitung etwas über den Vorfall gestanden. Es hieß, dass sich der Polizist nur mit einem kühnen Sprung zur Seite vor dem herannahenden Wagen retten konnte. Nun konnten wir mal gespannt sein, was die Genossen daraus machten. Mordversuch? Paul war ein Nervenbündel und ich versuchte, ihn ein bisschen zu beruhigen, was absolut erfolglos war, da wir uns inzwischen zusammengereimt hatten, dass er und seinLebenswandel nicht unbemerkt geblieben waren und die Staatsmacht nun eine Gelegenheit hatte, ihn sich mal gründlich vorzunehmen.
Sie taten es sechs Stunden lang. Sechs Stunden saß ich ängstlich wartend und zunehmend verunsichert im Auto vor dem Polizeirevier und malte mir die verschiedensten Abläufe aus. Nach drei zähen Stunden des Wartens nahm ich meinen Mut zusammen und ging zum Pförtnerhäuschen, um nach
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