STASIRATTE
Pauls Verbleib zu fragen. Aber der Wachmann wollte oder konnte mir auch nicht weiterhelfen. Enttäuscht und eingeschüchtert setzte ich mich wieder hinters Lenkrad. Ich machte das Radio mal an, dann wieder aus. Ich hatte nichts zum Lesen dabei, aber darauf hätte ich mich auch kaum konzentrieren können. Was war denn da nur los, fragte ich mich immer wieder. Was tun die stundenlang dort? Was reden sie? Gibt es vielleicht noch viel mehr, was man ihm zur Last legt? Hatte man ihn vielleicht einfach schon in Haft genommen? Man müsste mir darüber natürlich nicht Bescheid geben. Würde ich ihn jetzt verlieren? Ich weinte still vor mich hin.
Irgendwann drehte ich mich eher unabsichtlich zur Seite um in Richtung Wachhäuschen und endlich, endlich sah ich ihn von Weitem kommen. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Nun würde ich erfahren, was los war und was sie die ganze Zeit mit ihm gemacht hatten.
Ich bestürmte Paul sofort mit tausend Fragen, als er endlich wieder neben mir saß. „Ach, fahr los, ich muss das alles erst selbst verdauen“, war seine schroffe Antwort. Als ich ihn irritiert ansah, ergänzte er bloß noch: „Ich habe erst mal zwei Stunden warten dürfen, bis sie sich bequemt haben, mich ins Sprechzimmer zu holen.“ Wir fuhren schweigend nach Hause.
„Was soll ich nun machen, soll ich unterschreiben?“, fragte ich Paul, nachdem mir in Erinnerung an diese Geschichte ein Schauer über den Rücken gelaufen war.
„Meinst du, ich muss wieder in den Saal zurück, wenn ich ablehne?“
„Schwer zu sagen“, antwortete Paul. Er überlegte.
„Sie werden dich schon eine Weile beobachtet und Erkundigungen eingeholt haben. Vielleicht glauben sie, dass du Interessantes aus der Bar berichten kannst. Da läuft ja einiges.“
Ich nickte und atmete schwer. Paul zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch hörbar aus. „Wäre eigentlich mal ganz interessant zu hören, was die so wissen wollen“, dachte er laut nach.
„Du meinst, falls sie sich auch für uns interessieren?“, hakte ich nach. Paul kniff ein bisschen die Augen zusammen. „Das würden sie dir so genau wohl nicht sagen.“
„Kann es vielleicht sein, dass sie sich tatsächlich eher für dich interessieren und dass gar nicht die Bar im Mittelpunkt steht?“, versuchte ich es noch einmal deutlicher. Paul lachte kurz auf. „So interessant bin ich wohl auch wieder nicht.“
Ich war mir da nicht so sicher.
Ein interessantes Leben an der Grenze der Legalität. Wenn ich es auch damals so nicht formuliert hätte, war mir instinktiv klar, dass es ständig eine Bedrohung für unseren Lebensstandard gab. Und war hier nicht die Möglichkeit, aktiv etwas zu unserem Schutz zu tun? Indem man den Dämon einbezog und ihn so beruhigte? Bei dem Gedanken kam ich mir ungeheuer clever vor.
Und es war natürlich so: Paul verschaffte mir den Zugang zu einem schönen Leben. Seine Beziehungen und sein Geld öffneten Türen. Wie weit dürfte er noch gehen mit seinen Geschäften und seinem Lebenswandel? Stand er schon auf irgendeiner Liste? Täglich trieben diese Fragen mich um.
Schließlich träumte ich von einer intakten Familie, von Ehe und Kindern. Wenn das Haus erst einmal fertig war, konnte ich mir schon vorstellen, in der Zukunft ein Leben aufdem Lande zu führen. Während Paul sich um unseren Lebensunterhalt kümmern würde, zöge ich die lieben Kleinen auf. Oder waren das nur Hirngespinste?
„Mach es!“, hörte ich ihn plötzlich entschlossen sagen. „Wer weiß, was die sich einfallen lassen, wenn du ablehnst. Und was willst du auch als Grund angeben? Wenn du aus der Kristallbar wieder rausmüsstest, das wäre doch Mist.“
„Na ja, da müssen sie aber eine Begründung haben, mich wieder zu versetzen, oder?“ Paul lachte kurz höhnisch auf und sagte nur: „Ja, genau.“ Er schüttelte nur mit dem Kopf. Ich sah ihn an, dann an die Zimmerdecke, atmete langsam aus und erwiderte: „Okay.“
Nun wartete ich darauf, dass Hauptmann Gerber sich wieder bei mir meldete.
* * *
Mike gibt mir ein Taschentuch, damit ich die Tränen aus meinem Gesicht wischen kann. Ich sitze immer noch zusammengesunken auf meinem Barhocker und hoffe auf Gnade. Alles ist raus aus mir, das drückende Geheimnis und sämtliches Wasser. Als Mike mich endlich in die Arme nimmt, fühle ich mich wie ein kleines Mädchen, das etwas sehr, sehr Schlimmes gemacht hat, dem aber verziehen werden kann. Ich verfärbe sein Hemd mit meiner Wimperntusche, aber das ist im Moment nicht
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