STASIRATTE
aber daran gewöhnt und war momentan nur verstimmt, weil ich ungeduldig darauf wartete, meine Story loszuwerden.
Ich spazierte durch die Räume und sah mir die Gegenstände an, die mich täglich umgaben. Im Wohnzimmer machte ich halt vor dem Rokokosekretär und betrachtete das Porzellan, das Paul zusammengetragen und auf dem Möbelstückdekoriert hatte. „Alles nur zweite Wahl, das andere geht sofort in den Westen“, hatte er damals beim Auspacken gesagt. Er liebte das Zwiebelmuster und die wertvollen Möbel. Zum Sekretär gehörten noch ein Tisch und eine Glasvitrine. „Sieh mal, wie viel kunsthandwerkliche Arbeit allein in den Einlegearbeiten steckt“, erklärte er mir einmal am Beispiel des Tisches. „Das macht auch den Wert aus“, sagte er und strich beinahe zärtlich über das Holz.
Paul und mich verband die Liebe zu schönen alten Dingen. Während mich von Kindheit an Schlösser, Burgen und andere alte Gemäuer faszinierten, war Pauls Interesse mehr auf bewegliche Objekte gerichtet.
Neben dem Sammeln für den Eigenbedarf ging es ihm auch ganz wesentlich um die Verwertbarkeit am Markt. Damit befand er sich ungünstiger Weise in direkter Konkurrenz zu dem nach Westgeld lechzenden Staat. Die Abteilung Kommerzielle Koordinierung, die dem Ministerium für Außenhandel unterstand, beschäftigte sich mit allen Arten des Beschaffens harter Währung. Eine Möglichkeit war das Aufspüren von Antiquitäten bei Privatpersonen auch mithilfe des Ministeriums für Staatssicherheit oder den Steuerbehörden. Nicht selten wechselte der Kunstgegenstand dann zwangsweise den Besitzer, nachdem dieser auf verschiedene Weise diskreditiert wurde. Anschließend standen seine Möbel in den darauf spezialisierten Intershops, um endlich Devisen einzuspielen.
Eine Möglichkeit zum Auffinden interessanter Objekte waren die Trödelmärkte, die gelegentlich in den Dörfern stattfanden. Dort wurde nicht nur Trödel verkauft, sondern auch viel Selbstgenähtes oder -gebasteltes, Konsumgegenstände aus den sozialistischen Bruderländern, die hier nicht zu haben waren und die man erfolgreich eingeschmuggelt hatte, und eine Menge Kleinigkeiten aus Nachlässen.
Auf meinem Spaziergang durch die Wohnung, den ich immer wieder unterbrach, um nach Schritten im Hausflur zu horchen, machte ich nun im Schlafzimmer halt vor einer Gründerzeitkommode. Ich musste schmunzeln, als ich daran dachte, wie sie in unseren Haushalt gekommen war.
Damals liebte ich es, mit Paul übers Land zu fahren. Ich konnte mich einfach treiben lassen, die Landschaft genießen und mal nicht darüber nachdenken, wie mäßig der Baufortschritt leider war. Zudem machte er es immer spannend, indem er mir nicht verriet, wohin es gehen würde und zu welchem Zweck.
So rollten wir also wieder einmal durch die Landschaft und hielten nach zweistündiger Fahrt in einem kleinen Dorf mitten auf dem platten Land vor der Dorfkneipe an. Ich freute mich, denn ein wenig Hunger und Durst hatte ich inzwischen auch.
Im Hineingehen roch ich Bierdunst und Zigarettenqualm, aber auch Düfte, die sich von der Küche her durch den Tabakrauch quälten. Draußen war es heller Tag und in der Gaststätte ziemlich düster, vor den Fenstern hingen graugelbe Gardinen. Dickfleischige Kübelpflanzen verdeckten den Rest des eindringenden Lichtes. An einem Stehtisch angekommen, bestellte Paul beim Wirt: „Zwei Kaffee bitte“, oder? Er sah mich fragend an. Ich interessierte mich eher für den Inhalt der in Kunstleder eingelegten Speisekarte, die ich mir vom Tresen genommen hatte, und las das übliche Angebot, das mit einer Schreibmaschine auf ein dünnes Einlegeblatt getippt worden war: Bockwurst mit Brot, Bockwurst mit Salat, Soljanka. Letztere wahrscheinlich aus Bockwurst ohne alles, überlegte ich und fand, dass mein Hunger doch nicht so groß war.
Paul wendete sich an den Wirt: „Wir sind auf der Suche nach alten Möbeln. Sag mal, wen können wir hier im Dorf denn mal ansprechen?“
Aha, dachte ich freudig. Das also war das heutige Abenteuer.
„Wir wollen bald zusammenziehen“, fuhr Paul fort und dabei zeigte er auf mich, „können aber nicht viel ausgeben für die Einrichtung“, sprach er weiter. Ich nickte dem Wirt freundlich zu.
Der Angesprochene zuckte mit den Schultern, wandte sich dann aber den ohnehin schon aufmerksam gewordenen Stammgästen zu und gab Pauls Frage weiter: „Er sucht alte Möbel, wat meint ihr, woer ma fragen soll?“
Nun hatten wir die Aufmerksamkeit aller Gäste.
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