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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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Dienstschluss genauso ordentlich wie ich?
    Was ich mir noch vor Wochen nicht hätte vorstellen können, passierte jetzt fast zwangsläufig. Ich hatte eine Spur Macht, die ich anfing auszunutzen. Der Bericht über Katrin geriet nicht nur wohlwollend und es machte mir nichts aus.
    Paul hatte mehr als Recht gehabt.
    * * *
    Viele Menschen haben einen Traumberuf und legen schwärmerisch in ihren Kinderjahren fest, was aus ihnen einmal werden soll. Aber nicht nur bei den zahlreichen Lokomotivführern, Polizisten und Rennfahrern in spe hat das Schicksal einen anderen Plan und ihre Zukunft findet nicht auf Straße oder Schiene, sondern weniger aufregend, aber solide im Büro statt.
    Der Traum meiner frühen Jahre war es, Archäologin zu werden. Wenn ich mit meinen Eltern oder der Schulklasse durch die beeindruckenden Architektursäle der Berliner Mu-seen mit ihren Altertümern aus dem Orient oder Vorderasien spazierte, verzauberte mich der romantische Hauch der Geschichte und nahm mich in meinen Träumen mit in eine längst vergangene Welt.
    Ein Leben als Forscherin in fernen Ländern, in denen noch dazu immer die Sonne schien, stellte ich mir großartig und spannend vor. Im Geiste sah ich mich mit anderen Archäologen inmitten der Wüste im freigelegten Grabungsgelände diskutieren, unter freiem Himmel über Scherben sitzend grübeln, abends beim Schein der Glühbirnen im Zelt den Tag auswerten und meine wissenschaftlichen Erkenntnisse der staunenden Öffentlichkeit präsentieren.
    Zur Vorbereitung meiner späteren Karriere bemühte ich mich dann darum, so viel Druckerzeugnisse wie möglich über das Altertum zu ergattern, die es unter dem Ladentisch gab. Zur sogenannten Bückware gehörten natürlich auch Bücher, ausgenommen, man interessierte sich für die Werke Lenins.
    Hier erwies es sich als günstig, dass meine Mutter im Einzelhandel arbeitete und gute Beziehungen zu den Verkäuferinnen des einzigen Buchladens in unserer Kleinstadt hatte.
    Doch mit der Archäologie sollte es nichts werden. Die Zeit verging, es kam die Pubertät, es kamen neue Ideen und es kam anders.
    Ob Mike einen Traumberuf hatte, habe ich ihn nie gefragt. Von seinen Eltern grundsätzlich für eine Werkzeugmacherlehre vorgesehen, legte er im entscheidenden Moment ein derart schlechtes Zeugnis hin, dass es keinen Sinn hatte, sich für welche Berufsausbildung auch immer zu bewerben. Also hieß es: auf dem Gymnasium bleiben und etwas daraus machen. Und tatsächlich, es verknüpften sich ein paar Synapsen Ehrgeiz und Intelligenz und ließen ihn durchstarten. Und während ich in meinen Träumen gern im Sand gewühlt hätte, wühlte er nun ganz real in Büchern und Schriften, deren Inhalte für mich so trocken wie Wüstensand sind.
    Der so entstandene Volljurist, der schon an der Bezeichnung erkennen lässt, dass ihm keine Herausforderung zu groß ist, und der inzwischen mit der verhinderten Archäologin verheiratet ist, beginnt sich im Hier und Jetzt Gedanken zu machen, wie er meinem konstanten Kartenstrom mittels des guten Rechts Einhalt gebieten kann.
    Nachdem ich meine Idee, Gerry anzurufen und mich mit ihm auszusprechen, vorerst aufgeschoben habe, werde ich durch weitere pünktliche Grüße von ihm für meine Feigheit belohnt.
    Da schlägt Mike eines Tages vor: „Dann schreib deinem Stalker doch auch mal eine Karte.“
    Interessant, denke ich. Er hat die Sache inzwischen von mehreren juristischen Seiten beleuchtet und immerhin eine Idee.
    Dann sieht er mich ernst an und sagt: „Natürlich ist es so, dass du für dein Handeln einstehen musst.“ Und als ich den Blick zu Boden senke, denn es mangelt mir nicht an Einsicht, aber hören kann ich es auch nicht mehr, fährt er fort: „Du hast einem Arrangement zugestimmt, dass du höchstwahrscheinlich auch hättest ablehnen können, ohne Schaden zu nehmen. Das wissen wir heute nicht. Genauso wenig, wie jedermann mit Gewissheit sagen könnte, wie er sich selbst in dieser Situation entschieden hätte.“
    An dieser Stelle macht er eine Pause und richtet sich mit nachträglicher Dankbarkeit an den Zufall im Leben: „Was bin ich froh, dass mich niemand vor so eine Wahl gestellt hat.“
    Ja, denke ich, nicht in dieser Dimension, nicht in einer Diktatur. Aber ist es nicht so, dass wir im Leben immer wieder in Situationen geraten, die uns vor überlegenswerte Alternativen stellen. Kann eine wohlgesetzte Bemerkung beim Chef oder kleine Intrige dem Vorankommen der Karriere nützlich sein? Heiligt nicht manchmal

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