STASIRATTE
der Zweck die Mittel? Wie würden wir schaudern, könnten wir alles hören, was dem Vorgesetzten gegenüber über uns so ausgeplaudert, wenn nicht so-gar frei erfunden wird.
Aber ich behalte meine Überlegungen für mich. Denn so wahr sie sind, so selbstgerecht würden sie jetzt klingen.
„Weißt du denn noch in etwa, was du über Gerry berichtet hast?“, fragt Mike.
„Also, dass ich mich als Freundin der Familie gefühlt habe, wussten sie sicher von mir, und vielleicht, dass Gerry gern Geld ausgab.“
Ich überlege weiter: „Dann werde ich sicher auch über den verkorksten Ungarnurlaub gesprochen haben.“ Ich muss lachen bei der Erinnerung daran. „Einer meiner kläglichen Versuche, mit Paul und anderen Freunden Gemeinsamkeiten zu entwickeln. Doch das ging nicht gut“, erzähle ich weiter. „Paul langweilte sich am Balaton. Er mochte weder Sport noch Wasser.“
Wir waren damals, nachdem ich Paul endlich davon überzeugt hatte, dass es eine gute Idee war, etwas überstürzt zu viert in einem Auto die knapp tausend Kilometer nach Ungarn gefahren. Im Gepäck einige schwarz gekaufte Zollerklärungen, mit denen ein DDR-Bürger in den ungarischen Ban-ken seinen Tagessatz von 40 DDR-Mark zu 200 Forint umtauschen konnte. Das reichte allerdings nicht weit, da es in Ungarn eben auch einige Westprodukte, z. B. Kosmetik, zu kaufen gab. Dann musste man nach solch einem Kauf an diesem Tag aber auf das Essen verzichten, sofern man sich regulär verhielt. Da aber in der Heimat einige Sparkassenangestellte auf die Idee gekommen waren, solche Zollerklärungen zu Geld zu machen, hatten viele DDR-Bürger in Ungarn noch etwas zuzusetzen. Doch bis auf diese monetäre Zuwiderhandlung der gesetzlichen Bestimmungen beider Länder hatten wir nicht viel vorbereitet.
Nach anderthalb Tagen und wenig Schlaf im engen Auto landeten wir auf einem Zeltplatz an einem Ort direkt am Balaton, ohne uns vorher über unsere dortigen Absichten groß ausgetauscht zu haben. Meine Glückseligkeit darüber, dass man zu viert unterwegs sein und Aufregendes erleben würde, wich bald der Realität. Die Hinfahrt war anfangs noch lustig und wir waren frisch gewesen, die Männer wechselten sich beim Fahren ab. Es wurde viel erzählt und gelacht.
Aber nachdem wir angekommen waren, zeigte sich bald, dass es schwierig würde, wenn ein Kleintransporter sowohldie Wohn- und Schlafstätte für zwei Personen als auch der Kleiderschrank für zwei weitere sein sollte. Es gab kaum Ruhe im Auto, da im kleinen Zelt von Sonja und Gerry immer mal wieder etwas fehlte, was bei Paul und mir lagerte.
Überdies stellte sich bald heraus, dass es für einen Herumstromer wie Paul das Ödeste bedeutete, faul am Strand zu liegen und anderen bei Wassersportversuchen zuzusehen. Entsprechend verbreitete er also schlechte Laune, die sich von uns anderen nicht lange fernhielt.
Aber auch das Shoppen und Bummeln über die farbenfrohen Märkte der Balatonstädtchen brachte uns nicht zusammen. „Billiger Plunder“, befand Paul, während wir drei so einiges Kaufenswerte zu sehen glaubten.
Zu guter Letzt wurde auch das gemütliche Essengehen und sich beim Trinken Entspannen schwierig. Das wiederum war der eingeschränkten finanziellen Situation geschuldet. An DDR-Mark mangelte es uns zwar nicht, hier zählten aber nur die einheimische Währung, die eben nur beschränkt eingetauscht werden konnte, oder die harte Währung, die wir uns aber nicht getraut hatten mitzubringen. Wäre das an der Grenze entdeckt worden, hätte es nicht nur die sofortige Rückreise zur Folge gehabt.
So sind die schönsten Erinnerungen an den Balatonurlaub jene, bei denen Gerry mit bewundernswerter Gelassenheit und Geduld versuchte, mir das Surfen beizubringen.
Ich zeige Mike die Fotoserie dazu, die Sonja amüsiert vom Ufer aus geschossen hatte. Sie zeigt mich bei meinen unzähligen ungeschickten Versuchen, auf dem Brett das Gleichgewicht zu halten. Während ich noch versonnen auf die Fotos schaue, deren Farbe leicht verblasst ist, höre ich Mike sagen: „Und da wunderst du dich, dass er jetzt so verbittert ist. Wenn ich das hier sehe. Dieses Vertrauen, diese Nähe, beinahe wie ein Bruder ...“
Ich schlucke nur unangenehm berührt von seinen Worten und schaue erneut zurück.
Da bin ich: jung, frech und lebenshungrig. Eine Großstadt um mich herum, die Verlockendes zu bieten hat. Was ich bekommen oder mir genommen hatte, wollte ich auch behalten. Also war es vielleicht doch kein Zufall, dass der Krake
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