StatusAngst
einen im Jenseits erwartet, sie sind und bleiben unterm Strich alles, was wir je werden sein können.
Die feste Überzeugung, dass die Erde ein Jammertal sei, gehörte über Jahrhunderte hinweg zum Kernbestand des Glaubens, doch dieses Bollwerk gegen die Verzweiflung wurde durch die Erwartungshaltungen der modernen Weltsicht rücksichtslos untergraben. In seiner Schrift Uber den Gottesstaat (427 n. Chr.) hatte Augustinus das Unglück als unabänderliche Begleiterscheinung des Daseins beschrieben, als Teil des »elenden menschlichen Geschicks«, und Spott über all jene Theorien ausgegossen, »mit deren Hilfe sich die Menschen angestrengt bemühten, dem Elend dieses Lebens ein wenig Freude abzugewinnen«. Beeinflusst von Augustinus, schilderte der französische Dichter Eustache Deschamps (um 1338—1410) das irdische Dasein als Zeit der Wehklage und der Versuchung, Zeit des Weinens, Neidens und der Qualen, Zeit des Sehnens und der Verfluchung ... Temps de doleur et de temptacion, Aages de plour, d'envie et de tourment, Temps de langour et de dampnacion . ..
Auf die Nachricht vom Tod seines einjährigen Sohns reagierte Philipp der Gute, Herzog von Burgund (1396—1467), mit einer für die mittelalterliche Welt charakteristischen Äußerung: »Hätte Gott mir die Gnade eines so frühen Todes erwiesen, hätte ich mich glücklich geschätzt.«
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Doch das Zeitalter der Moderne geht nicht so großzügig mit dem Pessimismus um. Seit dem frühen 19.Jahrhundert bieten die Buchhandlungen der westlichen Welt Lebensbe-
Schreibungen berühmter Selfmademen sowie Ratgeber für jene an, die es noch nicht geschafft haben — zur Inspiration und unbeabsichtigt auch zur Entmutigung ihrer Leserschaft, die mit Erbauungsgeschichten vom radikalen Persönlichkeitswandel, vom schnellen Reichtum, Erfolg und Glück gefüttert wird.
Schöpfer dieses Genres war wahrscheinlich Benjamin Franklin mit seiner (unvollendet gebliebenen) Autobiographie, in der erzählt wird, wie es der mittellose junge Held, eins von siebzehn Kindern eines Kerzenmachers aus Boston, aus eigener Kraft zu Wohlstand brachte und wie er sich die Freundschaft und den Respekt der bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Zeit erwarb. Franklins Selbsterziehung und die Sentenzen, die er aus seinen Erfahrungen filterte (früh ins Bett und früh heraus, frommt dem Leib, dem Geist, dem Haus; ohne Fleiß kein Preis), schufen das Vorbild für eine wahre Flut von Erbauungsliteratur, mit der die Leser des 19.Jahrhunderts aufs Leben vorbereitet werden sollten. Die Amerikaner lasen »Wie man in der Welt vorankommt« (1874) von William Mathews, »Der Weg zum Reichtum« (1876) von William Mäher, »Das Geheimnis des Erfolgs« (1881) von Edwin T. Freedley, »Der Weg zum Erfolg« (1882) von Lyman Abbott, »Das Gesetz des Erfolgs« (1885) von William Speer und »Das Problem des Erfolgs für junge Männer und wie es zu lösen ist« (1903) von Samuel Fallows.
Der Trend hält bis heute an. »Du kannst dich entscheiden, jetzt auf der Stelle«, erklärt Anthony Robbins (»Weck den Riesen in dir«, 1991), »dich weiterzubilden, singen oder tanzen zu lernen, deine Geldprobleme zu lösen, den Pilotenschein zu machen ... wenn du dich wirklich dazu entschließt, kannst du fast alles. Wenn dir also deine gegenwärtige Beziehung nicht gefällt, entscheide dich jetzt, sie zu wechseln. Wenn dir dein gegenwärtiger Job nicht passt, such dir einen neuen.«
Robbins führt seine eigene Geschichte als Beweis für die Möglichkeit an, sich radikal zu verändern. Er hat sich aus ärmlichen Verhältnissen hochgearbeitet, mit Anfang Zwanzig als Hausmeister gearbeitet und in einer winzigen, heruntergekommenen Wohnung gehaust; er hatte keine Freundin, hörte abends Platten von Neil Diamond und hatte neunzehn Kilo Übergewicht. Eines Tages jedoch beschloss er abrupt, sein Leben zu ändern, und entdeckte eine »innere Kraft«, die ihm dabei half:
»Ich benutzte [diese Kraft], die Kontrolle über mein körperliches Befinden zurückzugewinnen und mich für immer von neunzehn Kilo Fett zu befreien. Damit eroberte ich die Frau meiner Träume, ich heiratete sie und gründete meine Wunschfamilie. Ich benutzte die Kraft, um mein mageres Gehalt auf ein Jahreseinkommen von über einer Million Dollar zu steigern. Sie half mir, aus meiner winzigen Wohnung (ich musste in der Badewanne abwaschen, weil sie keine Küche hatte) herauszukommen und dorthin zu ziehen, wo ich jetzt mit meiner Familie wohne: ins Del Mar
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