StatusAngst
besonders taktvoll, als er die Bauern mit einem Paar Füße und die Reichen mit dem Kopf gleichsetzte, aber diese Metapher hatte zumindest den Vorzug, dass sie die Reichen ermahnte, die Armen mit Respekt zu behandeln, wenn sie Wert auf gutes Stehvermögen legten.
Der Herrschaftsanspruch kannte als Alter Ego immerhin den Paternalismus. Wenn die Armen wie Kinder waren, mussten sich die Reichen wie fürsorgliche Eltern verhalten. Die mittelalterliche Kunst und Literatur war daher voll von gönnerhaftem, aber doch wohlwollendem Lob des Bauernstandes. Es wurde auch nicht vergessen, dass Jesus ein Zimmermann gewesen war.
In seinem Buch Colloquy (um 1015) erklärte Aelfric, der Abt von Eynsham, die Ackerbauern zu den wichtigsten Mitgliedern der Gesellschaft, denn man könne ohne einen Edelmann oder Geistlichen leben, nicht aber ohne Nahrung und folglich nicht ohne die Bauern. 1036 predigte der Bischof Gerard von Cambrai, die Arbeit des Bauern, obwohl stumpfsinnig und mühevoll, mache die geistig anspruchsvolleren Arten der Arbeit erst möglich. Ein rechtschaffener Mensch habe daher die Bauern zu achten. Hans Rosenplüt aus Nürnberg war einer von vielen Dichtern, die sich berufen fühlten, den Bauernstand zu preisen. In seinem Gedicht Des Bauern Lob (um 1450) erläutert er, dass in Gottes Schöpfung keiner so erhaben sei wie der Bauer:
... Es wirt im oft saur, Wenn er mit seinem Pflug fert, Damit er alle Welt ernert, Herrn, Burgern und Hantwerkman, Wer der Baur nit, so musstens oft traurig stan.
Bauer bei der Ernte. Aus einem englischen Stundenbuch, um 1250-1275
Diese Worte konnten das harte Los der Bauern zwar nicht mildern, aber sie dürften ihnen geholfen haben, ein Bewusstsein ihrer Würde zu entwickeln.
Brüder von Limburg, Bauern bei der Arbeit auf einem Rittergut, 1400-1416
Zweite Legende:
Ein geringer Status ist keine Schande.
Die zweite Legende leitet sich auf direkterem Wege von der Bibel her. Aus christlicher Perspektive betrachtet, waren weder Armut noch Reichtum ein verlässlicher Hinweis auf moralische Qualitäten. Jesus als höchstes menschliches Wesen lebte in Armut und durchkreuzte damit jede simple Gleichsetzung von hohem Status mit Rechtschaffenheit.
Wenn das Christentum überhaupt jemals von einer neutralen Bewertung des Geldes abgewichen ist, dann zugunsten der Armen, denn nach christlicher Auffassung liegt die Quelle alles Guten in der Erkenntnis der Abhängigkeit von Gott. Alles, was den Glauben stützte, man könne ohne Gottes Gnade ein zufriedenes Leben führen, war von Übel, und Geld war verdächtig, weil es sich mit weltlichen Freuden und dem Gefühl der Freiheit verband.
Dagegen waren die Entbehrungen der armen Leute ein viel näher liegender Grund, Gott um Hilfe anzuflehen. Laut Neuem Testament ging daher eher ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Reicher ins Himmelreich kam, und den Armen wurde versprochen, dass sie das Erdreich besitzen und als erste zu Tische im Reich Gottes sitzen würden.
Dritte Legende:
Die Reichen sind sündig und verdorben; ihr Reichtum ist Raub an den Armen.
Auch diese Legende war geeignet, über die Nachteile der Armut und eines geringen Sozialstatus hinwegzutrösten. Ihre größte Wirkung übte sie etwa zwischen 1754 und 1789 aus, und sie schärfte den Armen ein, dass die Reichen räuberisch und korrupt seien und ihre Vorherrschaft durch Ausbeutung und Betrug errungen hätten statt durch Tugend und Talent. Zudem hätten die Herrschenden die sozialen Verhältnisse in einer Weise zementiert, dass die Armen nicht hoffen konnten, ihr Los im Alleingang zu bessern, und mochten sie noch so befähigt und eifrig sein. Die einzige Lösung für sie sei massenhafter sozialer Protest — und Revolution.
Jean-Jacques Rousseau war einer der ersten, die diese Legende verbreiteten, indem er argumentierte, die Mächtigen hätten ihre Vorherrschaft schon in grauer Vorzeit durch Raub errungen und aufrecht erhalten: »Der erste, der ein Stück Land einzäunte, dem es einfiel zu sagen: Das ist mein, und Einfältige traf, die es ihm glaubten, der war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viel Laster, wie viel Krieg, wie viel Mord, Elend und Gräuel wären vermieden worden, hätte einer die Pfähle ausgerissen, den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen: ›Glaubt diesem Betrüger nicht! ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass die Früchte euch allen gehören und der Boden niemandem!« (Abhandlung über den
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