StatusAngst
und die Ursachen des Reichtums der Nationen (1776) - vielleicht der bestechendsten Verteidigungsschrift des Nutzens der Reichen, die je verfasst wurde. Smith begann mit dem Zugeständnis, dass große Geldsummen nicht unbedingt Glück bringen: »Reichtümer liefern den Menschen stets genauso sehr und manchmal noch stärker der Angst, Furcht und Sorge aus.« Mit Spott überzog er die Narren, die ihr ganzes Leben der Jagd nach »Tand und Kinkerlitzchen« widmeten, aber gleichzeitig zeigte er sich höchst beglückt, erklärte sich sogar dankbar, dass an ihnen kein Mangel herrschte. Die ganze Zivilisation und das Wohl aller Völker hänge davon ab, dass es Menschen mit dem Wunsch und der Fähigkeit gebe, unnützes Kapital anzusammeln und mit ihrem Reichtum zu prahlen. Das sei es, »was die Menschen zuerst dazu trieb, den Boden zu bestellen, Häuser zu bauen, Städte und Gemeinwesen zu gründen und all die Wissenschaften und Künste zu entwickeln, die das menschliche Leben veredeln und verschönern, die das Antlitz der Erde vollkommen veränderten, die wilden, unberührten Wälder in liebliche und fruchtbare Auen verwandelten und den weglosen, rauen Ozean zu einer neuen Nahrungsquelle machten.«
In den herkömmlichen Wirtschaftstheorien wurden die Reichen dafür verdammt, dass sie einen zu großen Anteil vom begrenzten nationalen Reichtum für sich beanspruchten. Smith räumte ein, dass es verlockend sei, einen Mann von »gewaltigem Vermögen« als »Pestbeule der Gesellschaft, als Ungeheuer, als großen Fisch zu sehen, der all die kleineren verschlingt«. Aber das heiße vergessen, dass der nationale Reichtum nicht begrenzt sei, sondern durch die Anstrengungen und Ambitionen der Unternehmer und Händler vergrößert werden könne. Die großen Fische, weit davon entfernt, die kleinen zu verschlingen, seien ihnen sogar nützlich, indem sie Geld investierten und ihnen Arbeit gäben. Die großen Fische mochten hochfahrend und grob sein, doch ihre Laster würden durch die Machinationen des Marktes in Tugenden verwandelt, wie Smith im wohl berühmtesten Plädoyer zugunsten des Kapitalismus darlegte: »Trotz ihrer angeborenen Selbstsucht und Habgier und obwohl sie nur auf ihr eigenes Wohl bedacht sind, obwohl der einzige Zweck, den sie in der Arbeit tausender Beschäftigter sehen, die Befriedigung ihrer eitlen und unersättlichen Begierden ist, teilen die Reichen mit den Armen die Früchte ihrer Bemühungen. Von unsichtbarer Hand geführt, besorgen sie fast die gleiche Verteilung des lebensnotwendigen Bedarfs, die vorgenommen worden wäre, hätte man die Welt zwischen all ihren Bewohnern zu gleichen Teilen aufgeteilt, und so fördern sie unwissentlich und ohne Absicht die Belange des Gemeinwesens und schaffen die Mittel zur Vermehrung der Art.«
Bekämen die reichen Leute genügend Gelegenheit zu Handel und Gewerbe, »würde eine so große Menge von allem produziert«, schrieb Smith, »dass sie ausreichte, sowohl die müßigen und lästigen Verschwendungen der Großen als auch in ausreichendem Maße die Bedürfnisse der Handwerker und Bauern zu bedienen.«
So die unerwartet gefällige Legende für die Bessergestellten. Seit der Frühzeit des Christentums wurden sie als Schurken hingestellt; plötzlich durften sie sich als Helden betrachten. Ihnen, den Reichen, gebührte die Ehre, dass sie für sämtliche tiefer stehenden Schichten sorgten. Sie beherbergten und speisten die Bedürftigen, sie ernährten all die kleinen Fische, die in ihrem Kielwasser schwammen. Und das Beste war: Sie taten es sogar als Widerlinge. Je gieriger, desto besser.
Für die Armen war diese Legende weniger schmeichelhaft. Während die Reichen den nationalen Wohlstand schufen, waren sie zu einer untertänigen, dienenden Rolle verurteilt und mussten zudem mit dem Vorwurf leben, dass sie wegen ihrer großen Zahl und in ihrem Hoffen auf Wohlfahrt und Nächstenliebe nationale Ressourcen aufzehrten. Die neue ökonomische Lesart verschlimmerte also das Los der materiell Benachteiligten noch durch die unausgesprochene Schuldzuweisung der Höhergestellten. Die Dichter hielten es nicht länger für angebracht, das Loblied des edlen Bauernstandes zu singen.
Zweite Legende:
Armut ist doch eine Schande.
Im Mittelpunkt der christlichen Lehre stand die Auffassung, dass Armut keine Schande bedeute. Jesus, der einfache Zimmermann, war höchstes moralisches Vorbild, der römische Statthalter Pilatus Sünder. Es war also sinnlos zu glauben, dass sozialer Rang
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