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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain de Botton
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verbreitet. Sie vermittelten den sozial Benachteiligten drei klare Botschaften: Erstens, dass sie die wahren Werte der Gesellschaft schufen und daher Respekt verdienten; zweitens, dass die weltliche Stellung in Gottes Augen nicht den Wert eines Mannes bestimme; drittens, dass die Reichen skrupellose Ausbeuter seien und nach einer Reihe unmittelbar bevorstehender, gerechter proletarischer Revolutionen ein böses Ende nehmen würden.
     

 
     
     
     
     
Drei Angst erzeugende neue Legenden über den Erfolg
     
1
     
    Um die Mitte des 18. Jahrhunderts bildeten sich jedoch leider drei neue Legenden heraus, die weniger tröstlich klangen, die stetig an Einfluss gewannen und den Konsens über die früheren Legenden unterminierten.
    Zwar ging mit der Verbreitung der neuen Legenden eine spürbare Besserung der Lebensverhältnisse quer durch die Gesellschaft einher, doch in psychologischer Hinsicht bewirkten sie nichts weiter, als dass der niedrige Status noch schwerer zu ertragen war und noch tiefere Ängste auslöste als zuvor.
     
    Erste Legende:
    Die Reichen sind nützlich — die Armen nicht.
     
    Aelfric, der Abt von Eynsham, hatte bereits etwa im Jahr 1015 geschrieben, der Reichtum werde fast ausschließlich von den Armen geschaffen, die vor Tage aufstünden, den Acker pflügten und die Ernte einbrächten, und dafür gebühre ihnen der Respekt aller, die ihnen übergeordnet seien. Der Abt stand mit diesem Loblied auf die einfachen Bauern nicht allein. Über Jahrhunderte galt die Lehrmeinung, dass der gesellschaftliche Reichtum sich der Fron und Plackerei der niedersten Stände verdanke. Die Reichen mit ihrem Hang zu Luxus und Ausschweifung täten nichts anderes, als das Erarbeitete zu verschleudern.
    Diese Sicht dominierte unangefochten bis zum Frühjahr 1723, als der Londoner Arzt Bernard Mandeville sein gereimtes Traktat Die Bienenfabel veröffentliche, das die Bewertung von Arm und Reich für immer veränderte. Entgegen der althergebrachten ökonomischen Überzeugung behauptete er, die Reichen seien die Nützlichen, denn ihr aufwendiges Leben würde die ihnen Unterstellten mit Arbeit versorgen und alle, auch die Schwächsten, vor dem sicheren Hungertod bewahren. Mandeville hatte nicht die Absicht, die Reichen moralisch über die Armen zu stellen, im Gegenteil: Mit Eifer brandmarkte er ihre Eitelkeiten, Grausamkeiten und Launen. Ihre Gier kenne keine Grenzen, sie seien voller Gefallsucht und verstünden nicht, dass materielle Bereicherung nicht zur Glückseligkeit führe. Und doch sei das Streben nach Reichtum und seine Vermehrung ungleich nützlicher für die Gesellschaft als die geduldige, unergiebige Mühsal der Arbeitenden. Bei der Bewertung eines Menschen müsse man nicht nur seine Seele prüfen (wie es die christliche Moral nahe legte), sondern auch seinen Nutzen für andere. Dieses neue Kriterium ließ nun keinen Zweifel mehr, dass diejenigen, die Reichtümer anhäuften (durch Handel, Industrie oder Landwirtschaft) und auch ausgaben (für sinnlosen Luxus, für überflüssige Speicher oder Landschlösser), sich nutzbringender betätigten als die Armen, was Mandeville mit seinem Untertitel »Private Laster, öffentlicher Nutzen« deutlich machte. »Es ist der ausschweifende Höfling, der seinem Luxus keine Grenzen setzt, die leichtlebige Dame, die jede Woche eine neue Mode ersinnt, der haltlose Wüstling und der verschwenderische Erbe [der den Armen am wirksamsten hilft]. Derjenige, der seinen Nachbarn den meisten Verdruss bereitet und die aufwendigsten Erzeugnisse erfindet, ist, mag das nun richtig oder falsch sein, der größte Freund der Gesellschaft. Tuchhändler, Polsterer, Schneider und viele andere würden binnen eines halben Jahres verhungern, wenn Prunk und Luxus mit einem Mal aus dem Lande verbannt würden.«
    Anfangs löste Mandeville mit seiner These (durchaus beabsichtigte) Empörung aus, aber sie setzte sich durch und überzeugte fast alle bedeutenden Ökonomen und Gesellschaftstheoretiker weit über das 18.Jahrhundert hinaus. In seinem Essay Vom Luxus (1752) griff David Hume Mandevilles Plädoyer zugunsten der Reichen als Schöpfer des Wohlstands auf: »In einem Land, wo kein Bedarf an Luxus besteht, versinken die Menschen in Lethargie, verlieren sie alle Freude am Leben und sind für das Gemeinwesen nutzlos, das seine Flotten und Heere nicht mehr erhalten oder ernähren kann.«
    Vierundzwanzig Jahre später vertiefte sein Landsmann Adam Smith diese These in seiner Untersuchung über das Wesen

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