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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain de Botton
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im Spiel gehabt. Es ist das Gesetz des Landes, und man glaubt, es sei ein universelles Gesetz, dass dieser Mann nur die Aufgabe hat, seine zubereiteten Mahlzeiten zu verzehren und sich nicht aus dem Fenster zu stürzen!«
    Wie viele Reformer des 19.Jahrhunderts wollte Carlyle keine Welt, in der alle finanziell gleichgestellt waren, sondern eine Welt, in der sowohl die Eliten als auch die Armen die Kluft zwischen sich verdienten. »Europa braucht eine wirkliche Aristokratie«, schrieb er, »aber es muss die Aristokratie der Tüchtigen sein. Falscher Adel ist nicht zu dulden.« Carlyle forderte, obwohl dieser Begriff noch nicht geprägt war, eine Meritokratie.
    Die neue Idee der Meritokratie konkurrierte mit zwei anderen Konzepten gesellschaftlicher Ordnung: dem Egalitarismus mit seiner Forderung nach völliger Gleichheit bei der Verteilung der Güter und dem Hereditismus, demzufolge Titel und Ämter (und die Fasanenjagd) automatisch an die Kinder der Reichen zu fallen hatten. Meritokraten waren wie der herkömmliche Adel bereit, ein großes Maß an Ungleichheit zu akzeptieren, aber sie ähnelten den radikalen Egalitaristen darin, dass sie fürs Erste völlige Chancengleichheit forderten. Wenn jeder die gleiche Bildung bekam und die gleichen Chancen zu beruflichem Fortkommen, wären spätere Unterschiede in Einkommen und Ansehen auf der Grundlage individueller Begabungen und Schwächen gerechtfertigt; eine Umverteilung erübrige sich. Privilegien wären verdient, Härten ebenfalls.
    Die Sozialgesetzgebung des 19. und 20.Jahrhunderts ließ sich zunehmend vom Prinzip der Meritokratie leiten. Chancengleichheit wurde, mal schneller, mal langsamer, mal mehr, mal weniger überzeugt, von allen westlichen Regierungen gefördert. Man war sich einig, dass alle Bürger unabhängig von ihrem Einkommen das Recht auf einen ordentlichen Schulabschluss, vielfach auch den Besuch einer Hochschule haben sollten. Die Vereinigten Staaten machten 1824 den Anfang mit der Eröffnung der ersten öffentlich finanzierten High School. Um die Zeit des Bürgerkriegs gab es schon dreihundert solche Schulen, und 1890 waren es zweitausendfünfhundert. Ab 1920 wurde auch die Hochschulausbildung nach meritokratischen Prinzipien umgestaltet — mit Hilfe von Eignungstests. Erfunden wurden sie von James Conant, dem Rektor der Harvard University, und Henry Chauncey, dem Leiter des staatlichen Büros für Bildungstests, und es ging ihnen darum, die Eignung von Studienanwärtern mit Hilfe von Verfahren zu ermitteln, die wissenschaftlich begründet, gerecht und unparteiisch waren und somit allen traditionalistischen, rassistischen und snobistischen Einflüssen bei der Studentenauswahl ein Ende bereiten sollten. Die Bewerber sollten nicht mehr danach beurteilt werden, wer ihre Väter oder wie sie gekleidet waren, sondern nach ihrem wahren Wert — worunter Conant und Chauncey die Fähigkeit verstanden, Fragen wie die folgenden richtig zu beantworten:
     
    Welche der vier folgenden Wörter sind Antonyme?
    obstinat      prätentiös       flexibel obskur.
     
    Bestimmen Sie, ob eines oder beide oder keines der nachfolgenden Wörter die gleiche Bedeutung hat wie das erste:
     
    fertil
    nominell
     
    steril
    exorbitant
     
    vakat
    didaktisch
     
    Wer solche Herausforderungen bestand, verdiente den Erfolg und folglich die Aufnahme in einen angesehenen Country-Club und den Job in der Wall Street. Laut Conant war der Eignungstest »ein neuartiges Instrument, dessen angemessener Gebrauch dazu dienen möge, die Klassenlosigkeit der Nation zu bewahren ... soziale Durchlässigkeit wiederzugewinnen, dem amerikanischen Ideal näher zu kommen«.
    Dieses amerikanische Ideal verhieß natürlich nicht Gleichheit, sondern nur gleiche Startbedingungen für alle nach einem strikt überwachten Prinzip. Hatte erst jeder die gleiche Chance erhalten, zur Schule zu gehen, sich zu immatrikulieren und in den Wortlisten das Antonym zu erkennen, dann wäre jede hieraus erwachsende amerikanische Aristokratie legitimiert.
    Als 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet wurde, war ihr 26. Artikel zumindest in den USA und vielen Ländern Europas mehr oder weniger verwirklicht: »Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muss

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