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StatusAngst

StatusAngst

Titel: StatusAngst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain de Botton
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dafür, wie das menschliche Verhalten, wenn es ungeprüft bleibt, typischerweise zu Extremen neigt, und plädiert so weise wie schlicht für den goldenen Mittelweg, das Ideal, das wir mit Hilfe der Vernunft anvisieren sollen:
     
    -
PHILOSOPHISCHES IDEAL
+
Feigheit
Tapferkeit
Tollkühnheit
Knauserei
Großzügigkeit
Verschwendung
Weichlichkeit
Standfestigkeit
stumpfe Härte
Einfältigkeit
Einsicht
Gerissenheit
Widerwärtigkeit
Freundschaftlichkeit
Schmeichelei
     
    Und wir könnten hinzufügen:
    Status-Lethargie
    Ehrgeiz
    Status-Hysterie
     

 
     
     
     
     
Intelligente Misanthropie
     
1
     
    Wenn wir die wohlfundierte Kritik an unserem Verhalten beherzigt, uns mit auffällig gewordenen Versagensängsten befasst und ein Gefühl der Selbstverantwortung für unsere Schwächen entwickelt haben und man uns trotzdem nur einen geringen Status zuerkennt, könnten wir geneigt sein, eine Haltung einzunehmen, die von einigen der bedeutendsten abendländischen Philosophen gepflegt wurde. Wir könnten die Verwerfungen des allgemeinen Wertekanons in unvoreingenommener Weise konstatieren und darauf eine Haltung der intelligenten Misanthropie gründen, die frei ist von Selbstgerechtigkeit und Stolz.
     
     
2
     
    Wenn wir die Ansichten anderer einer genaueren Prüfung unterziehen, machen wir — behaupten Philosophen schon lange — eine Entdeckung, die einerseits betrübt, andererseits merkwürdig befreiend wirkt: Die meisten Ansichten der meisten Menschen sind in erstaunlichem Maße verworren und irrig. Chamfort bringt die misanthropische Haltung ganzer Generationen von Philosophen folgendermaßen auf den Punkt: »Die öffentliche Meinung ist die schlechteste aller Meinungen.«
    Der Grund für dieses Phänomen: Die »öffentliche Meinung« ist selten geneigt, ihre Urteile einer strengen Realitätsprüfung zu unterziehen, und stützt sich lieber auf Intuition, Emotion und Gewohnheit. »Man darf sicher sein, dass jede von der Allgemeinheit geteilte Vorstellung, jede überkommene Idee eine Idiotie ist, weil es ihr gelungen ist, Anklang bei der Masse zu finden«, so Chamfort, und er fügt hinzu, dass der so genannte gesunde Menschenverstand eher ein Unverstand sei, weil er an Vereinfachung, Widersprüchen, Vorurteil und Oberflächlichkeit krankt: »Die absurdesten Bräuche und die albernsten Zeremonien werden allerorts mit derselben Phrase entschuldigt: So ist es eben üblich. Genau das sagen die Hottentotten, wenn sie von Europäern gefragt werden, warum sie Heuschrecken und Läuse verzehren: So ist es eben üblich.«
     

 
3
     
    Die Einsicht in die Untauglichkeit der öffentlichen Meinung mag schmerzhaft sein, sie führt aber dennoch zu nützlichen Schlüssen im Hinblick auf unsere Statusängste, auf unser tiefes Verlangen, dass andere gut von uns denken, auf unseren unstillbaren Hunger nach Zeichen der Liebe.
    Es lassen sich zwei Gründe dafür angeben, warum uns die Anerkennung anderer so wichtig ist: der materielle, da Gleichgültigkeit von Seiten der Allgemeinheit physische Unannehmlichkeiten und Gefahren mit sich bringt, und der psychologische, da wir schwerlich die Selbstachtung wahren können, wenn andere uns ihren Respekt versagen.
    Letzterer erweist sich als diejenige Folge mangelnder Achtung, auf die sich eine philosophische Haltung günstig auszuwirken vermag, denn statt uns von jeder Widrigkeit und jeder Missachtung kränken zu lassen, können wir darangehen, erst einmal die Angemessenheit des uns entgegengebrachten Verhaltens zu prüfen. Nur, was vernichtend und wahr ist, sollte unsere Selbstachtung bedrohen. So können wir den masochistischen Automatismus stoppen, der darin besteht, dass wir die Anerkennung anderer suchen, bevor wir uns gefragt haben, ob ihre Meinung überhaupt Beachtung verdient, und dass wir die Zuwendung von Menschen ersehnen, von denen wir bei genauerem Hinsehen kaum eine gute Meinung haben können.
    Mit Hilfe der misanthropischen Haltung, für die wir in der Geschichte der Philosophie eine große Zahl erbaulicher Beispiele finden, können wir ganz gelassen dazu übergehen, andere genauso gering zu schätzen wie sie uns.
     
     
4
     
    »Außerdem ist ja, was in einem fremden Bewusstsein vorgeht, als solches für uns gleichgültig, und auch wir werden allmählich gleichgültig dagegen werden, wenn wir von der Oberflächlichkeit und Futilität der Gedanken, von der Beschränktheit der Begriffe, von der Kleinlichkeit der Gesinnung, von der Verkehrtheit der Meinungen und von der Anzahl der

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