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Staub zu Staub

Staub zu Staub

Titel: Staub zu Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga A. Krouk
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    „Haiem anni lewad - Mie anni. Ist das alles?“
    Kristin löste ihren Blick vom Gemälde. „Und was will der Künstler uns damit sagen?“
    „Bin ich allein? – Was bin ich?“, übersetzte Mirjam, doch Kristin sah Max auffordernd an, bis er endlich sagte:
    „Mehr weiß ich auch nicht.“ Er drehte das Blatt. „Es ist datiert. 3. Adar 5505.“
    „Oh. Ein Brief aus der Zukunft. Nett.“
    „Nach dem jüdischen Kalender“, erklärte Mirjam. „Adar ist der zwölfte Monat des Jahres und fängt zwischen Februar und März an. Unsere Zeitzählung beginnt mit der Weltschöpfung.“
    „Schön, dass ihr diesen Zeitpunkt so genau kennt. Hat das dein Gott ausge-plaudert? Oder haben auch andere vor dir mit Engeln gebumst?“
    Mirjams Wangen flammten auf. Max senkte die Schrift. „Was habe ich hier eigentlich verpasst?“
    „Ups. Ist mir so rausgerutscht.“
    „Das Ganze ist schon schwer genug, ohne dass wir einander fertig machen müssen.“
    „Sicher, verzeih mir. Ich muss wirklich aufpassen, was ich sage. Sonst rastest du noch aus und schmierst mich an den Wänden breit.“
    Daniel umarmte sie von hinten. „Hör auf. Das muss nicht sein.“ Er schielte über die Brille, die auf seiner Nase balancierte, rüber zu Max. „Kannst du mit diesen Zeilen etwas anfangen?“
    „Nicht wirklich.“ Max inspizierte das Blatt. „Auf dieser Seite gibt es noch ein paar winzige Buchstaben, in unregelmäßigen Abständen verteilt.“
    „Mein Vater hat die Buchstaben der beiden Sätze genommen und damit die Stellen in der Thora abgezählt, um sie zu entschlüsseln. Aber es kam nichts Sinnvolles dabei heraus.“
    Kristin streichelte über seine Hände. „Wie kann man mit den Buchstaben die Buchstaben abzählen?“
    „Im Hebräischen wird jedem Buchstaben eine Zahl zugeordnet, soweit ich weiß. Aleph ist eine Eins, Beth eine Zwei und so weiter. Die Zahlen entstehen durch Addition. Zum Beispiel besteht 149 aus Koph – 100, Mem – 40 und Tet – 9.“
    „Hätte RaMChaL wirklich den Schlüssel zur Thora gehabt“, wandte Mirjam ein, „würde er ihn sicherlich nicht so offensichtlich aufschreiben.“
    Daniel hustete und wischte sich mit dem Ärmel über die Lippen. „Vielleicht wollte Luzzatto dem Gaon gar nichts mitteilen. Vielleicht war das ein Scherz zwischen Gelehrten oder so.“
    „Welchem Gaon?“, fragte Max.
    „Na, dem von Vilna. Das ist ein Brief, den Luzzatto ihm angeblich geschickt hat.“
    „Moment mal. Der Gaon hatte ja die Methode entwickelt, in der er die Buch-staben der Thora hintereinander ohne Leer- und Satzzeichen aufgeschrieben und dann die Buchstaben abgezählt hat. Damit soll er der Thora einige Geheimnisse entlockt haben.“
    „Blödsinn.“ Kristin löste sich aus der Umarmung und riss Max das Blatt aus der Hand. „Die Thora besteht doch aus den fünf Büchern Moses, oder? Das ist eine ganze Menge Text. Klar kann man da alles finden, was man finden will.“
    Er wollte die Schrift ergreifen, doch Kristin wandte ihm den Rücken zu und hielt das Papier gegen das Licht.
    „Das ist eine der Kritiken“, erklärte Max geduldig. „Es gibt eine lustige Geschichte. 1997 war Drosnin, ein amerikanischer Journalist, so sehr vom Bibel-Code überzeugt, dass er dazu aufgerufen hatte, es möge doch jemand in Moby Dick eine Prophezeiung finden. Daraufhin wurde auch Moby Dick nach verschiedenen Methoden untersucht.“ Er grinste. „Der Roman liefert in der Tat einige Prophezeiungen. Ein paar Scherzkekse haben sogar aus der Thora etwas wie ‚Die Offenbarung liegt in Moby Dick’ herausgeholt und aus Moby Dick: ‚Thora enthält keine Offenbarungen’ zusammengestellt.“
    „Meine Rede.“ Kristin schnippte das Blatt fort. Es trudelte auf den Boden.
    Vorsichtig hob Mirjam die Schrift auf. „Die Thora wurde Moses vom Ewigen gegeben. Wer zu blöd ist, ihr Geheimnis zu verstehen, ist selber schuld.“
    Kristin machte einen Ruck, doch Daniel schloss sie wieder in die Arme. „In unserem Fall ist es eine Sackgasse. Mein Vater hat das schon von vorne bis hinten ausprobiert. Es geht nicht.“
    „Vielleicht, weil es noch gar nichts mit der Thora zu tun hat?“ Max nahm das Papier und drehte es mehrfach. Danach holte er einen Notizblock und einen Bleistift vom Telefontischchen.
    „Was hast du vor?“ Mirjam beobachtete, wie er die hebräischen Zeichen abschrieb, in der gleichen Reihenfolge, Größe und Abständen.
    „Ich kopiere jetzt die beiden Sätze zwischen diesen einzelnen Buchstaben, ohne Satz- und

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