Staub zu Staub
Augen funkelten ihr entgegen. „Hat Dani uns nicht genug geholfen? Jetzt gehört er zu uns. Akzeptier das endlich.“
„Wer ist denn ‚uns’? Du, er und Friedmann?“
Daniel wollte etwas erwidern, doch der Husten schnitt ihm die Worte ab. Röchelnd sammelte er seine Sachen auf und schlüpfte in die Jeans. Kristin nahm die Decke vom Boden. Sie hüllte sich ein und lugte hervor wie eine Eule.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du so voller Vorurteile bist. Als Jüdin. Und gläubiger Mensch. Musst du eigentlich nicht verzeihen können, wenn jemand einen Fehler gemacht hat und es bereut?“
„Oh, doch. Ich verzeihe ihm. Verrätst du mir, wie viel du ihm fürs Vögeln bezahlt hast?“
Die Farbe wich aus Kristins Gesicht. Ihre Unterlippe begann zu zittern.
Daniel schnaubte. „Was soll das? Du kannst mich nicht leiden, okay, aber das ist kein Grund, Kristin wehzutun.“
„Halt endlich den Mund und hau ab!“ Ihr Finger wies ihn aus dem Zimmer.
Kristin schob das Kinn vor. „Keine Sorge. Er verschwindet. Zusammen mit mir.“ In die Decke gehüllt, stampfte sie zur Tür.
Daniels trauriger Blick verweilte auf Mirjam. „Du bist echt …“ Er winkte ab, hob Kristins Sachen auf und ging ihr hinterher.
Sie ignorierte den Spermageruch, genauso wie den Fleck auf dem Lacken. Was sollte sie jetzt tun? Daniel zerfraß die Stützen ihrer kleinen Gemeinde wie ein Holzwurm. War sie die Einzige, die das sah?
Durch ihre Gedanken rauschten die Worte, die sie Kristin entgegen geschleudert hatte. Ihre Zunge weigerte sich, diese zu wiederholen, obwohl niemand zuhörte. Wie leicht waren sie ihr noch vor einer Minute herausgerutscht! Ob sie sich jemals trauen würde, Kristin wieder ins Gesicht zu blicken? Das musste sie. Alles erklären, sich entschuldigen – nur so konnte sie Kristin vor diesem Kerl beschützen, der nur darauf wartete, sie alle zu verraten.
Nach einer Stunde klopfte Max an. Sie öffnete und ergriff seine Hand, woraufhin er leicht das Gesicht verzog. „Vorsicht. Gestern habe ich mir das Messer durch die Handfläche gerammt. War nicht besonders clever von mir.“ Durch einen Riss in der Kruste trat etwas Blut hervor.
„Ein Glück, dass keine Sehnen verletzt wurden. Sonst hättest du kaum je wieder Geige spielen können.“
„Wurden sie.“ Er lächelte. „Aber das Wichtigste wird zuerst geflickt. Wo sind Kristin und Dani?“
Dani. Es hörte sich an, als seien die beiden beste Freunde geworden.
„In ihrem Zimmer vermutlich.“
„Willst du sie nicht rufen, damit wir alle zusammen Luzzattos Aufzeichnung anschauen können?“
„Mach ich.“
Mit schwerem Herzen klopfte Mirjam an Kristins Tür. Es ertönten stampfende Schritte und gleich darauf spähte das Sommersprossengesicht durch den Spalt. Die grünen Augen ähnelten zwei Mauerschlitzen zum Abfeuern von Waffen.
„Deine Entschuldigung kannst du dir … die genaue Anleitung dazu hol dir bei Dani ab.“
Die Tür wurde vor ihrer Nase zugeknallt.
„Ach so?“ Mirjam schlug mit der Handfläche gegen das Holz. „Ich brauche mich nicht zu entschuldigen! Wenn ihr die Schrift sehen wollt, solltet ihr mitkommen.“ Sie stürmte in ihr Zimmer und prallte gegen Max. Das Buch fiel aus seiner Hand.
„Ist etwas passiert?“
„Alles bestens.“
„Na, wenn das nicht gelogen ist. Von der Schrift weiß jetzt zumindest das ganze Hotel. Willst du mir nicht erzählen, was los ist?“
„Nur eine Meinungsverschiedenheit. Ich kann das allein klären.“
„Wenn du meinst.“
Er nahm das Buch und zog ein gelbliches, vierfach gefaltetes Papier heraus, als Kristin Daniel demonstrativ an der Hand ins Zimmer schleppte. Der Typ lächelte Max zu.
„Hi.“
Max lächelte zurück. „Hallo.“
„Was macht der Kopf?“
„Es geht ihm prima.“
„Ich hätte dir gestern keine überziehen sollen.“
„Hättest du das nicht getan, hätte ich vermutlich Hackfleisch aus dir gemacht. Ich war wirklich neben der Spur. Danke, dass du mich zurückgebracht hast.“
„Immer wieder gerne. Nur nicht zu oft.“
Während der Plauderei versuchte Mirjam, Kristins Blick zu erhaschen, die betont interessiert die Waldlandschaft des Ölgemäldes über dem Bett betrachtete. Ihre Lippen hatten eine strenge Linie gebildet, das Kinn war emporgestreckt.
„Na gut.“ Nahezu feierlich faltete Max das Blatt auseinander. „Dann bin ich gespannt, was uns Luzzatto hinterlassen hat.“ Mirjam spähte auf die Schrift. Von der Mitte des Papiers prangten ihr zwei Zeilen
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